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■ Gedanken angesichts des Stahlarbeiteraufmarschs in BonnArbeit teilen

2,29 Millionen im Westen, 1,18 Millionen im Osten – weist die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit für Februar '93 als Arbeitslose aus. Addiert man die knapp 400.000 in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen vorübergehend beschäftigten und die rund 800.000 in Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen steckenden Menschen hinzu, dann fehlen knapp fünf Millionen Arbeitsplätze. In dieser Situation klagt Kanzler Kohl über sein Volk, es arbeite zu wenig. Großökonom Kohl empfiehlt längere Wochenarbeitszeiten und weniger Urlaub. Black out? Sicher, wenn man ihn wörtlich nimmt, aber Kohl hat etwas anderes im Sinn. Er propagiert laut Mehrarbeit und behält den zweiten Teil seiner Überlegung, bei gleichem Lohn, noch für sich. Denkt man Teil zwei mit, würden deutsche Produkte im internationalen Vergleich tatsächlich billiger. Bei unveränderten Währungsparitäten stiege der Absatz – und die deutsche Arbeitslosigkeit würde ein Stück weit ins Ausland exportiert. Darauf läuft des Kanzlers Gerede hinaus.

Gegen diese nationalistische Politik haben die westdeutschen Gewerkschaften unter Führung der IG Metall und der IG Medien ihr Konzept einer solidarischen Lohnpolitik gesetzt und mit der Forderung nach der 35-Stunden-Woche umzusetzen versucht. Die gestern aus Sorge um ihre Arbeitsplätze in Bonn demonstrierenden Stahlkocher standen dabei in vorderster Front. Es bedurfte Ende der 70er Jahre ihres sechswöchigen Streiks, um den Einstieg in die 35-Stunden-Woche zu schaffen. In zwei Jahren, so sehen es die Tarifverträge vor, soll in der Druck- und Metallindustrie die 35-Stunden-Woche eingeführt werden. Ohne diese Arbeitszeitverkürzung, die die Beschäftigten durch mäßige, unter den Produktivitätszuwächsen liegende Lohnsteigerungsraten finanziert haben, gäbe es heute im Westen mehrere Hunderttausend zusätzliche Arbeitslose. Weil die anderen Einzelgewerkschaften nichts Vergleichbares zustandegebracht haben, wird nach den Berechnungen des gewerkschaftseigenen wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, WSI, die 35-Stunden-Woche als gesamtwirtschaftlicher Durchschnitt erst kurz vor dem Jahr 2010 erreicht sein. Zur Lösung des aktuellen Problems taugt dieser Schneckengang also gar nicht.

Was jetzt not tut, ist eine drastische, kostenneutrale Arbeitszeitverkürzung in Ost und West. Massive Effekte sind jedoch nur denkbar, wenn sich ein Großteil der jetzt Beschäftigten zu realem Lohnverzicht bereit findet. Weil diese Form des Teilens auch bei den eigenen Mitgliedern, die ja in der Tat nicht in berauschenden wirtschaftlichen Verhältnissen leben, nicht sonderlich populär ist, halten sich jetzt auch jene Gewerkschafter zurück, die den Weg der solidarischen Tarifpolitik einst ebneten. Doch die Debatte muß im ureigensten Interesse der Gewerkschaften und der Linken in aller Schärfe geführt werden. Deutschland zählte schon einmal sechs Millionen Arbeitslose. Das Ende ist bekannt. Walter Jakobs

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