■ Das Portrait
: Giulio Andreotti

Hier Foto-Nr. 20

Foto: Reuter

Sein Name steht so ziemlich für alles, was die italienische Nachkriegsrepublik geprägt hat: Andreotti, der große Staatsmann, der Italiens Politik sicher, aber immer distanziert im westlichen Lager gehalten hat; Andreotti, der unverwüstliche Fuchs, der stets in irgendwelche Skandale verwickelt war und doch immer freikam; Andreotti der Geistreiche, der mit wenigen Worten ganze Programme verkünden, bei Musikfestivals und Literaturprämiierungen in der Jury sitzen konnte. Sein Spruch: „Die Macht verschleißt nur den, der sie nicht hat“, begeisterte den deutschen Außenminister Genscher so, daß er ihn zum siebzigsten Geburtstag Andreottis vor vier Jahren in La Repubblica zitierte. Wenig später freilich wandelte Andreotti den Spruch in einem Buchtitel ab: „Die Macht verschleißt, aber es ist jedenfalls besser, sie zu behalten“.

Er hat sie immer noch, zumindest teilweise. Die Wahl 1992 war von den Parteien auch zu einer Art „Schickt den Alten heim“-Kampagne gemacht worden, obwohl der zum Senator auf Lebenszeit Ernannte automatisch jedem künftigen Parlament angehören würde. Doch nach Hause geschickt wurden vor allem die anderen, und Andreotti sieht bisher überhaupt keinen Grund, ganz abzutreten. Im Gegenteil, erst in den letzten Wochen hat er die abstruse Idee eines „verfassungbildenden Kabinetts“ so lange lanciert, bis alle begannen, sich ernsthaft mit der Idee zu befassen.

Seit 1947, seit der ersten Regierung, in der er blutjunger Kanzleramtschef wurde, war Andreotti nicht aus der italienischen Politik fortzudenken. Ein Prachtexemplar des „Transformismus“, in Mitte-Links-Kabinetten wie in Mitte-Rechts-Regierungen, bei der Allianz mit den Kommunisten und in der Minderheitenregierung seiner Democrazia Cristiana. Gerufen wurde er – siebenmal als Ministerpräsident und für lange Jahre als Außenminister – immer dann, wenn es galt, eine schwierige Situation zu meistern.

Andreottis Verdienst ist aber gleichzeitig die Katastrophe Italiens: Weil man fünf Jahrzehnte lang alles änderte, um nichts zu verändern, steht das Land nun am Abgrund: nichts funktioniert, niemand ist gerüstet für die Zukunft, weder die öffentlichen Dienste noch die Unternehmen, noch die Bürger. Italiens Katastrophe trägt auch den Namen Andreotti. Werner Raith