: Italiens Stehaufmännchen wackelt
Gegen Ex-Regierungschef Giulio Andreotti wird wegen Beteiligung an mafioser Bandenbildung ermittelt/ Der „Unverwüstliche“ sieht sich als Opfer eines Racheaktes der Mafia ■ Aus Rom Werner Raith
Fast schon hatte man geglaubt, das ewige Stehaufmännchen habe es geschafft – als einziger aus dem römischen Machtkartell. Fast alle ehemaligen Partei- und Regierungschefs der letzten Jahrzehnte haben derzeit Ermittlungsverfahren am Hals, vom Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz über Hehlerei bis zur Erpressung, nur Giulio Andreotti nicht. Der Leiter von nicht weniger als sieben Administrationen, mehr als zwanzigmal Minister, war weggetaucht, als sich bei den für die Regierungsparteien katastrophalen Wahlen im April 1992 eine grundlegende Wende anzeigte und die Staatsanwaltschaften diese Schwäche der Herrschenden ausnutzten, um endlich einmal deren Verfehlungen zu durchleuchten.
Erst vor drei Wochen hatte man plötzlich wieder Aktivitäten von ihm vernommen – hektische diesmal, ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit: die New York Times hatte einen langen Bericht über die Übel Italiens mit der Frage eingeleitet: „Warum gerade er nicht?“ Andreotti, der alte Fuchs, wußte nun, daß es ernst wurde, die „Freigabe“ von jenseits des Ozeans hatte schon mehrere Politiker ins Nichts gestürzt. Und ganz gegen seine bisher rigoros durchgehaltene Gewohnheit hatte Andreotti auch „gerichtliche Schritte wegen Verleumdung“ angekündigt.
Es nützte nichts: Am vergangenen Samstagabend gab Andreotti selbst bekannt, daß er die Ankündigung eines Ermittlungsverfahrens von seiten der Staatsanwaltschaft Palermo erhalten hat. Da er vom damaligen Staatspräsidenten Cossiga vor zwei Jahren zum Senator auf Lebenszeit ernannt worden ist, muß nun die zweite gesetzgebende Kammer die Erlaubnis zur Durchführung des Verfahrens erteilen.
Geständnisse von Mafia-Austeigern als Auslöser
Die Anschuldigungen gegen Andreotti sind freilich noch brisanter als in allen anderen Strängen der Säuberungsaktion „mani pulite“ (Saubere Hände) bisher: Andreotti wird weder die von Politikern sowieso zum Kavaliersdelikt heruntergespielte illegale Parteifinanzierung, noch persönliche Bereicherung vorgeworfen, sondern so ziemlich das schlimmste aller denkbaren Delikte: Beteiligung an der Bildung einer mafiosen Vereinigung. Auslöser sind die Geständnisse von drei Mafia-Aussteigern, die über den Mord im Februar 1992 an Andreottis innerparteilichem Statthalter in Sizilien, Salvo Lima, ausgesagt hatten.
Danach war Lima umgebracht worden, weil er nicht mehr wie vorher imstande war, über seinen Parteiflügel in Rom – der eben von Andreotti geleitet wird – den Gang der Mafiaprozesse zu beeinflussen. Die Ermittler unter ihrem neuen Chef Caselli schlossen daraus, daß Andreotti lange Zeit selbst eingegriffen hatte, wenn es um mafiose Urteile ging. Erst 1991 hatte sich das Blatt gewendet und der für die höchstrichterlichen Urteile zuständige Präsident der ersten Sektion des Kassationsgerichts war abgezogen worden. Seither werden Urteile gegen Bosse nun auch vom höchsten Gericht bestätigt.
Andreotti hat bisher nur in einer Presseerklärung auf die Einleitung des Verfahrens reagiert: Er sei verbittert über diesen Schritt, wisse doch jeder, daß gerade unter seiner letzten Regierung die bisher schärfsten Maßnahmen gegen die Mafia eingeleitet worden seien.
Lediglich die Extremisten triumphieren offen
Darin hat er zweifellos recht – es ging um die damals übliche Praxis, selbst in zwei Instanzen zu langer bis lebenslanger Haft verurteilte Bosse noch mal vor der letzten Instanz freizulassen, meist wegen Überschreitung der eng festgelegten Höchstzeit für die Dauer von Untersuchungshaft. Schon entlassene Oberhäupter gefährlicher Clans wurden in einer Nacht- und Nebel-Aktion wieder eingesammelt.
Außerdem hatte Andreotti seinen damaligen Innenminister Scotti und Justizchef Martelli – beide übrigens auch mittlerweile Gegenstand von Verfahren, allerdings bisher „nur“ wegen der Parteifinanzierung – ermutigt, eine Sonderpolizei nach amerikanischem FBI-Muster aufzustellen, die ausschließlich gegen die organisierte Kriminalität eingesetzt werden sollte. „Ich habe das Verfahren erwartet“, schließt Andreotti daher sein Kommuniqué, „die Rache der Mafia würde mich so oder so treffen.“
Die Kommentare aus der politischen Welt sind sehr, sehr vorsichtig – zu oft schon hatte man geglaubt, Andreotti bringe seinen Kopf nicht mehr aus der Schlinge, mehr als zwei Dutzend parlamentarische Untersuchungsausschüsse hat er überstanden. Nahezu alle Parteien beschränken sich auf schirftliche Stellungnahmen, meist nur wenige Zeilen, und alle setzen ostentativ darauf, daß „die Gerichte baldigst Klarheit in diese Sache bringen“.
Selbst der ehemalige palermitanische Bürgermeister Leoluca Orlando, DC-Dissident und Leiter der Antimafiabewegung „la Rete“, mag sich zu alledem nicht äußern – obwohl Andreotti ihn in seiner Pressemitteilung als einen der Scharfmacher gegen sich anprangert und der Bericht der New York Times erkennbar aus einem Besuch Orlandos in den USA hervorgegangen war. Triumph ist lediglich bei zwei extremistischen Organisationen zu hören – den Neofaschisten („Das ist der Todesstoß für dieses Regime“) und den separatistisch-rassistischen „Ligen“ Oberitaliens, für die Andreotti sowieso das Symbol des ihnen verhaßten römischen Machtapparates ist.
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