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Als Emanzen Lidstrich trugen

Die Barbican Art Gallery zeigt „The Sixties. Art Scene in London“  ■ Von Claudia Wahjudi

Auf die Wiederentdeckung von Pauline Boty ist die Barbican Art Gallery besonders stolz. Die Ölbilder der englischen Künstlerin stehen an zentraler Stelle der Ausstellung, die der Hauskurator John Hoole und der Kunsthistoriker David Mellor in der Kunsthalle des Hochhauskomplexes Barbican Center eingerichtet haben. „The Sixties. Art Scene in London“ zeigt über 200 Arbeiten von bekannten und unbekannten Künstlern vom Ende der 50er bis zum Ende der 60er Jahre.

Pauline Boty kommt in dieser wuchtigen Schau die Rolle der vergessenen Vorbild-Feminstin zu. Im linken Teil ihres Diptychons „It's a Man's World“ (1963-65) hat Boty Ordnung und Aktion in Szene gesetzt. Um eine prächtige Park- Landschaft des 18. Jahrhunderts gruppiert finden sich, nach fotografischen Vorlagen gemalt, Proust und Cassius Clay neben Lenin, Elvis Presley und dem Piloten Peter Everest verewigt. Wunderschön sehen diese Männer aus, wie sie selbstbewußt, ja selbstverliebt sich selbst, ihre Tatkraft und ihren Geist darstellen. Die zweite Leinwand dagegen ist namenlosen Frauen vorbehalten. Hier räkeln sich plastisch ausgestaltete Brüste einem Blick entgegen, der eigentlich nur ein männlicher sein kann. Im Zentrum der Stereotypen steht die blasse Scham einer Frau, einer Frau freilich ohne Kopf. Mit diesem zynischen Statement hatte Boty, die 1966 achtundzwanzigjährig starb, vorweggenommen, was anderen Frauen erst viel später dämmern sollte: Die neue Pornographie barg neue Möglichkeiten der Repression.

Botys Arbeiten beherrschen die Abteilung „gender and body“, der auch Kitajs „Early Europe“, Blakes „Girlie Door“ und die Bewegungs-Fotografien von Robert Freeman zugeordnet sind. Sechzehn solcher thematischer Displays sollen die verwirrende Flut von Fotos, Skulpturen, Tafelbildern, Installationen und Text-Dokumenten bändigen, die sich über die Betonwände und Fußbodenkacheln der tristen, Shoreditcher Kunsthalle ergossen hat. Die Bilder von David Hockney, Robin Denny, Bridget Riley oder Gerald Laing drohten sonst zwischen den Arbeiten lokaler Größen zu verschwinden. Doch die Katalogisierung unter Begriffen wie „Colour and Form“, „Packages“ und „Codes“ erweist sich oft als willkürlich — letztendlich sortieren sie die Exponate nur chronologisch.

„The Sixites“ hat es nicht leicht, sich gegen all die Ausstellungen zu behaupten, mit denen öffentliche und private Londoner Galerien derzeit die Kunst der Sechziger endgültig in die Geschichte einschreiben wollen. „Gravity and Grace“ in der Hayward Gallery machte den Anfang. Jon Thompson suchte in den Skulpturen zwischen 1965 und 1975 nach einem gemeinsamen Ursprung von Arte Povera und Postminimalismus. Mitte Februar eröffnete die Lisson Gallery „Out of Sight, out of Mind“ mit Arbeiten u.a. von Artschwager, Flavin, Judd, Haacke und Merz. Auch die Tate Gallery machte für diesselben Künstler sowie für eine Sonderausstellung von Robert Ryman Räume frei. Mittlerweile liegen überall „Flyer“ aus und schicken das Publikum reihum, bis nach Oxford zu Zeichungen von Sol Lewitt.

Angesichts solcher Konkurrenz hat sich die Barbican Art Gallery für unbesetztes Terrain und für eine Spurensuche im „Swinging London“ entschieden. Von der Polit-Kunst zur Zeit der Anti-Atom- Bewegung, vom Umgang mit touristenfreundlichen Verkehrszeichen und mit der prosperierenden Warenwelt bis zur Neuen Abstrakten versucht „The Sixties“ alles zu erfassen, was mit Pop-Kultur zu tun haben könnte, mit dem, was in den Sechzigern die Ästhetik des Alltags veränderte. Dazu gehören psychedelische Konzert-Plakate und kinetische Lichtobjekte ebenso wie Bilder der Helden der Unterhaltungsindustrie, Brigitte Bardot, James Dean und die Beatles. Die neue Wechselbeziehung von Pop-Musik und bildender Kunst führt die Barbican Art Gallery detailliert vor. Für das Cover von „My Generation“ ließen The Who ein Jackett aus einem Union Jack fertigen. Das Banner hatte jedoch schon 1960 der Design-Student Geoff Reeve in seiner Diplomarbeit zu bedeutungsloser Meterware, zu „Union-Jack-Textil-Design“ umfunktioniert.

Wer britische Nationalheiligtümer entweihen konnte, hatte vor der amerikanischen Massenkultur bestimmt keine Angst. Doch der US-Import verband nicht nur die Künstler des „Swinging London“, er trennte sie auch. 1965 machte David Bailey eine Aufnahme von Michael Cooper, dem Cover-Fotografen der Beatles. Rotzig präsentiert sich der Beau mit gespreizten Beinen. An seiner Jeansjacke trägt er Slogans aus Amerika, einen Reklame-Sticker für Pepsi- Cola, darunter ein T-Shirt mit der Aufschrift der „New York University“. Peter Blake, neun Jahre älter als Cooper, zeigt sich in seinem „Self-Portrait with Badgets“ als schüchterner Elvis-Fan, wenn auch mit Union Jack an der Knopfleiste. Wie Cooper trägt er Denims. Aber Blakes Jeansanzug ist viel zu groß, und wären Ärmel und Beine nicht hochgekrempelt, würde der Portraitierte wohl aus seiner Verkleidung herausfallen. Und als ob er sein Verschwinden im Graubraun des englischen Hintergartens verhindern wollte, hält sich Blake an einer Postkarte von Elvis fest. Mit dem Idol jedoch kann der Künstler, der sich mit Hängebacken und Fischaugen gemalt hat, nicht konkurrieren. Cooper dagegen sieht den Beatles, die als Badge an seinem Revers heften, zum Verwechseln ähnlich — sein Porträt zeugt wie kaum ein anderes Exponat die Suche einer Generation nach ihrem ästhetischen Ausdruck, die vor dem eigenen Körper nicht halt macht. In der akribischen Dokumentation dieses Prozesses wiederum liegt die einzige, aber ausschlaggebende Stärke der Ausstellung. Wenn Boty, die sich 1961 von Reeve mit Ringelpulli und dickem Lidstrich fotografieren ließ, an exponierter Stelle steht, ist das nur konsequent.

Bis 13. Juni, Barbican Art Gallery, Goswell Road, London EC2Y 8DS

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