piwik no script img

■ Vakuum StadtmitteVisionen sind nötig

Der vom Beutezug der Bonner Politiker aufgewirbelte Staub um ministerielle Bauklötze am Marx-Engels-Platz liegt noch in der Berliner Luft. Durch ihn hindurch wird schemenhaft erkennbar, wie selbstherrlich und ohne Rücksicht auf Sachverstand Bundesminister das Ergebnis monatelanger Planung beiseite wischen. Ob Schloß-Fälschung, Außenamt statt Palast der Republik, ob Festhaus, Bibliothek oder Kongreß-Zentrum – die Verbissenheit auf restaurative „Stadtkronen“ und Staatsarchitekturen auf den Trümmern der DDR-Bauten erscheint dabei nur mehr wie eine konzeptionslose Landnahme im Zustand wirrer Besatzermentalität. Selbst der Erhalt des Palastes oder des Gebäudes des ehemaligen Staatsrats als geschichtsträchtige Objekte sozialistischer Idolatrie wirkt wie ein Dementi für die Zukunft der Mitte. Nostalgie aber ist in allen Fällen die Mutter des Mangels an lebendiger Vorstellungskraft. Die Beschwörungsformeln mit billigen Zitaten für alte Bilder eines staatsträchtigen Zentrums drücken die Abwesenheit konstitutiver demokratischer Identitätsfindung aus. Berlin nach 1989 scheint der Beweis des Zustand eines Vakuums des Mitte-Denkens.

Doch nichts bleibt, wie es ist. Der Beutestaub wird sich legen und Perspektiven für das historische Zentrum eröffnen: Perspektiven, gelenkt durch die Ansprüche der Stadt, ihre prägenden Strukturen, ihre spezifischen Räume und zukünftige bauliche Notwendigkeiten. Für die Spreeinsel sind diese neu zu gestalten. Neu im Sinne einer architektonischen und freiräumlichen Form, die im Spannungsverhältnis und Kontrast zur historischen Mitte stehen. Die letzte Chance des Stadtumbaus aus Berliner Sicht bietet der „Städtebauliche Ideenwettbewerb Spreeinsel“. Er muß mit dem Ziel der Stadtreparatur ausgelobt werden. Ebenso hat er die Aufgabe, monumentale und monofunktionale Solitäre wie das Außenamt, eine Bibliothek oder einen ICC-Neubau an den Rand des Marx-Engels-Platzes – am besten hinter das Areal des Staatsrats – zu verbannen. Darauf muß Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer drängen, bliebe doch sonst die Mitte ein totes steinernes Stadtgrab. Ein Mix aus Urbanität und Ministerien kann nicht geschaffen werden. Staatliche, kulturelle und öffentliche Nutzungen beleben nicht per Absichtserklärung die Bauten und öffentlichen Räume. Das Vakuum im Zentrum zu füllen, braucht neue Chiffren und neue Nutzungen. Es sei nicht einfach, darauf eine Antwort zu finden, sagt der Stadtentwicklungssenator. Woran das liegt, sagt er nicht.

Es gibt und es braucht in Berlin kein hauptstädtisches Zentrum mehr. Die Stadt hat viele Mitten. Das fette Staats-Zentrum ist ein Phantom und eine Fiktion zugleich. Lebendig ist die Stadt heute, wo solche Planungen noch nicht zugeschlagen haben. Der Ort Marx- Engels-Platz hält weder den Gedanken noch den Bau einer neuen Regierungs- und Kulturmitte aus. Außenamt und Orte für aufzureißende Türschläge schaffen Inszenierung. Vielmehr müßte ein Ensemble aus Bauten und Räumen entstehen, durch das die Stadt an dieser Stelle weitergebaut werden kann. Es muß ein identifikatorisches Ensemble werden. Nicht ein zweites Centre Pompidou – jenes wunderbare Haus mit seinem Platz aus der Zeit flirrenden Lebensgefühls –, sondern dessen Steigerung für das heutige und kommende Lebensgefühl. Dazu erfordert es Gedanken von Urbanität und ein Bewußtsein der Solidarität. Ein Volksgarten mit dem Reichstagsdach Norman Fosters vielleicht. Kein Schwerpunkt der Stadt, sondern ein Raum des Common sense. Politischer Mut und bauliche Visionen sind nötig. Rolf Lautenschläger

Siehe auch das Interview mit dem Stadtentwicklungssenator auf Seite 22 und den Bericht zum Kanzleramt Seite 23

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen