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■ Simone Veil wird ranghöchste französische MinisterinSie wird's schon richten

Simone Veil als ranghöchste Ministerin der neuen französischen Regierung – das klingt vielversprechend. Wohl soll die Politikerin mit all ihrer Größe das Manko der neuen Mannschaft verdecken: könnte doch den Frauen durchaus die eine oder andere Klage darüber einfallen, daß das Verhältnis Frau – Mann im neuen Kabinett bei traurigen 3:27 steht. Eine der drei Glücklichen, die völlig unbekannte und unerfahrene Ministerin Lucette Michaux-Chevry, muß gleich noch eine Alibi-Funktion erfüllen: sie ist farbig und damit Exotin des Kabinetts. Simone Veil hingegen ist nicht irgendeine Frau: den Französinnen bleibt unvergessen, daß sie 1974 unter heftigem Widerstand die Abtreibung liberalisiert hat.

Neben den Frauen soll sie auch all diejenigen beruhigen, die fürchten, die konservative Regierung könnte unter dem Druck ihrer Vier-Fünftel-Mehrheit im Parlament einen allzu scharfen rechten Kurs fahren. Wer das hofft, kann sich durch ihren Gegenpol im Innenministerium bestätigt fühlen; der rechtsstehende Charles Pasqua kommt in der Rangliste gleich hinter ihr. Fragt sich nur, wie die beiden miteinander auskommen können, steht Veil doch im Gegensatz zu ihm für Liberalität und Toleranz; sie wünscht, daß „Frankreich vom Zentrum aus“ regiert wird. Als junges Mädchen überlebte sie Auschwitz, ihre Familie jedoch wurde dort ermordet. Aus dieser Erfahrung nährt sich ihre Feindschaft gegen die „Front National“.

Drittens ist sie das europäische Aushängeschild des Kabinetts: 1979 gab sie das Amt der Gesundheitsministerin auf, um Abgeordnete im Europaparlament zu werden. Drei Jahre später schon war sie dessen erste Präsidentin. Und schließlich die vierte Rolle: den Konservativen ein soziales Image geben. Keine ist besser geeignet als sie – Inbild der Mütterlichkeit –, um den sozial Schwachen Trost und Hoffnung einzuflößen. Damit wird sie viel zu tun haben: das Arbeitsministerium gab am Tag ihrer Ernennung bekannt, daß die magische Schwelle von drei Millionen Arbeitslosen überschritten wurde. Doch damit nicht genug: auch die marginalisierten Jugendlichen der Vororte will Simone Veil an die Hand nehmen; sie selbst hat verlangt, das Erbe des populistischen Bernard Tapie anzutreten. Als besonders dringende Maßnahme hat sie bereits den Bau von Sozialwohnungen gefordert – obwohl sie dafür nun eigentlich nicht mehr zuständig ist. Da war doch noch etwas? Ach ja, die Gesundheit gehört ebenfalls in ihr Mammutressort. Hier gilt es vor allem, das Loch der Sozialversicherung zu stopfen – keine kleine Aufgabe. Und falls der Regierungschef mal ausfallen sollte, muß Simone Veil ihn vertreten, weitere Verpflichtungen bringt das Ehrenamt der ranghöchsten Staatsministerin nicht mit sich.

Ob das alles nicht ein bißchen zuviel ist? „Ich war vielleicht ein wenig unbedacht“, kokettierte sie nach ihrer Ernennung. Simone Viel ist ehrgeizig und von ihren Fähigkeiten überzeugt, seltene Gabe der noch selteneren Politikerinnen. Es wird sich schnell zeigen, ob die in Frankreich seit 20 Jahren sehr beliebte Politikerin diesen gewaltigen Berg an Aufgaben und Funktionen in den Griff bekommt. Wenn ja, dann muß sie Präsidentin werden! Bettina Kaps, Paris

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