: Ein schlimmer Finger will Klaus nicht sein
Beim Verfahren gegen den angeblichen „Paten von Berlin“, Klaus Speer geht es auch darum, ob die Justiz gegenüber der Dunkelzone der organisierten Kriminalität hilflos ist/ Überraschender Verzicht auf Hauptanklagepunkt ■ Von Gerd Nowakowski
Gedrängel gab es erneut, doch anders als am ersten Verhandlungstag bestimmte nicht mehr das Geschubse der Medienvertreter, sondern der Kleinkrieg im juristischen Unterholz das Verfahren. Im Wortgeklingel der Verteidung mit ihren diversen Rügen und des Antrags auf Befangenheit ging deshalb die faustdicke Überraschung fast unter. Nur mit einem Nebensatz lies Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer wissen, daß der zentrale Punkt unter den insgesamt 17 Tatvorwürfen gegen Klaus Speer fallengelassen wird. Hintergrund: gegen den Zeugen John, den Speer mittels massiven Drohungen und Gewaltanwendung zur Zahlung mehrerer hunderttausend Mark genötigt haben soll, gibt es selbst schwere Vorwürfe. Nach Angaben des Speer-Verteidigers Horst Mahler habe dieser durch Betrug einen Schaden von mehreren Millionen Mark angerichtet, ohne daß dies ernsthaft von der Staatsanwaltsachaft verfolgt wird.
Mit dem Rückzieher verliert die Staatsanwaltschaft damit bereits zum Beginn des bis zum Jahresende terminierten Verfahrens ihren Kronzeugen, auf dessen Aussage auch große Teile der restlichen Anklage gründen. Offenbar will die Anklage aber vermeiden, daß Vorwürfe gegen den Kronzeugen, er sei selber ein von der Staatsanwaltschaft vor Strafverfolgung geschützter Krimineller, das gesamte Verfahren überschatten.
Selbst er, so bekannte Anwalt Mahler, habe die überraschende Volte der Staatsanwaltsachaft überhört. Nur sein Mandant, der hinter der Trennscheibe sitzende und im korrekten Anzug gekleidete Klaus Speer, hatte wohl als einziger in Saal genau zugehört. Mit nahezu unbewegtem Gesicht — selbst als einige Bekannte im Zuschauerraum grüßten, nickte er nur unmerklich — verfolgte Speer die Bemühungen, ihn juristisch als „Paten von Berlin“ festzunageln.
Insbesondere der Anwalt Plöger, Verteidiger des Speer-Vertrauten Gerd Schulz, bemühte sich mit Verve, juristische Fallstricke für das Gericht zu legen. Sowohl beim Vorwurf der ungenügenden Berücksichtigung der richterlichen Urlaubspläne, der inkorrekten Benachrichtigung der Ersatzschöffen und der Nichtzuständigkeit der 19. Strafkammer präsentierte sich die aus dem Honecker-Verfahren bekannte Nervensäge als juristischer Haarspalter. Seine Ablehnung des Gerichts wegen Befangenheit begründete er mit dem unerträglichen Gedrängel am ersten Prozeßtag, bei dem sein Mandant nicht nur Prellungen erlitten habe, sondern neben „zwei Knöpfen“ auch das Vertrauen in den Rechtstaat verloren habe.
Der besonnen agierende Mahler beklagte dagegen, das Gericht betreibe das Verfahren nicht in der zwingend vorgeschriebenen Schnelligkeit. Weil die Strafkammer noch mit einem anderen Großverfahren beschäftigt sei, werde nur einmal die Woche getagt, in den Monaten Mai und August fielen die Verhandlungen sogar ganz aus. Ergebnis dieser rechtswidrigen Terminierung sei, daß sich bis zur Urteilsfindung die unmittelbaren Eindrücke längst verflüchtigt hätten. Das werde zu Lasten des Angeklagten gehen, glaubt Mahler, der Speer vor zwanzig Jahren im Knast kennenlernte. Der Anwalt saß wegen der Befreiung von Andreas Baader, Speer wegen Bandenbildung und Teilnahme an einer blutigen Schießerei in der Charlottenburger Bleibtreustraße.
Dem Gericht, das gestern die Entscheidung über die Anträge vertagte, gelang es zumindest, die Verlesung der 526 Seiten starken Anklage zu beginnen. Dem achtundvierzigjährigen Klaus Speer will die Staatsanwaltschaft nachweisen, daß er die zentrale Figur eines Geschäftsimperiums ist, auf das alle Merkmale der organisierten Kriminalität zutreffen. Die kriminelle Dunkelzone will die Anklage in dem Mammutprozess bis Jahresende mit 226 Zeugen ausleuchten.
Seit 1988 hatte die Polizei mit intensiver Beschattung und Beobachtung versucht, die Grundlagen des überaus aufwendigen Lebensstils des Angeklagten aufzudecken. Zusammengekommen sind eine Vielzahl von Delikten, von unbefugtem Waffenbesitz über Betrug, räuberischer Erpressung, unerlaubtem Glücksspiel und gewerbsmäßigem Wucher. Auch Waffenbesitz, gefährliche Körperverletzung und Bestechung findet sich darin.
Der Angeklagte, neben dem noch fünf weitere Geschäftspartner auf der Anklagebank sitzen, quittiert die Vorwürfe hingegen mit Entrüstung. Ein schlimmer Finger sei er schon längst nicht mehr, sondern ein Musterbeispiel für gelungene Resozialisation. Mit seiner Sportschule, als Boxpromotor und Immobilienhändler sei er längst ein Biedermann. Zudem hat er seit langem die Fäden zum Establisment geknüpft. Selbst bei der Frau des Bundeskanzlers hat er guten Eindruck hinterlassen, als er Hannelore Kohl vor Jahren mit guten Tips zum Roulettegewinn verhalt. Im Knast, wo er seit dem Sommer 1992 einsitzt, profiliert er sich als regelmäßger Kirchgänger.
Doch in Moabit geht es um mehr als einen spektakulären Fall für die Boulevard-Presse. Für Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer, dem exponierten Vorkämpfer gegen das organisierte Verbrechen, ist der Fall ein Pilotprojekt. Der eloquente und nach Aussagen von Anwälten immer hart an die Grenze des Erlaubten gehende Fätkinhäuer will die juristischen Waffen gegen mafiose Strukturen schärfen und erweitern. Er beschwört das Bild einer Justiz heruaf, die bei anderen als den klassischen Straftaten überfordert ist und plädiert seit langem für umfassende Observationsmöglichkeiten wie den elektronischen Lauschangriff der Polizei und einen erweiterten Zeugenschutz.
Für die Staatsanwaltschaft bestens illustriert wird die mißliche Folge der jetzigen ungenügenden Rechtslage wahrscheinlich durch den Speer-Prozeß selber: Nur wenige Zeugen kann die Anklage aufbieten; selbst Opfer sind in den wenigsten Fälle bereit auszusagen und leiden unter einem bemerkenswert schwachen Gedächtnis — weil sie bedroht werden, wie die Staatsanwaltschaft suggeriert. Genau deswegen ist es von immenser Wichtigkeit für das Verfahren, wenn die Staatsanwaltschaft nun gestern überraschend den Fall des Zeugen John auskoppelt. Viele andere Delikte, die Speer vorgeworfen werden, stützen sich nämlich ebenfalls auf den Zeugen John — selbst bei Tatvorwürfen, wo das Opfer angeblich von nichts wissen will.
Die auf schwachen Füßen stehende Anklage ist damit seit gestern nach brüchiger geworden. Horst Mahler lässt keine Gelegehenit aus, auf diese wunden Stellen hinzuweisen. Er sieht in dem Verfahren ein Pilotprojekt, mit einer dürftigen und zusammengestopelten Anklage zu einer Verurteilung zu kommen — um damit einen Präzendenzfall für andere Verfahren zu schaffen. Die Verteidigung befinde sich wegen der unlauteren Methoden der Staatsanwaltschaft im „Status der Notwehr“, sagt Mahler. und setzt zur entlastung mit großem Geschick auf die Medien.
Im Duell des Speer-Verteidigers Mahler mit dem Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer, der gestern demonstrativ mit Bodyguards erschien, spielt der Richter bislang kaum ein Rolle. Erfolglos wollte er Mahler davon abbringen, seine Philippika gegen die Ermittlungesmethoden, die „am Gesetz vorbei und teilweise gegen das Gesetzt“ betrieben wurden, erst nach der Verlesung der Anklage vorzutragen. Auch Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer ignorierte die ahnungslosen Schöffen. Mit spürbarer Dünnhäutigkeit gegenüber Vorwürfen aus der Presse verteidigte er vehement das Gesamtverfahren und ging auf einzelne Tatkomplexe ein — von denen die Schöffen erst hinterher offiziell in Kenntnis gesetzt wurden.
Die Verlesung der Anklage fand freilich mittendrin ein abruptes Ende durch den Schwächeanfall eines Schöffen. Die wahrhaft einschläfernde Litanei der Schlechtigkeit darf nun beim nächsten Verhandlungstermin in einer Woche erneut begonnen werden. Damit wird sichergestellt, daß der entschlummerte Schöffe auch wirklich alles mitbekommt — und zugleich alles getan, um der Verteidigung nur ja keinen Revisionsgrund zur Hand zu geben. Gerd Nowakowski
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen