: Ostberliner üben sich im kurzen Arbeitskampf
■ 6.000 Beschäftigte der Metall- und Elektrobranche legten Arbeit nieder
Berlin. Zahlreich flatterten gestern die roten Fahnen der IG Metall vor vielen Werkstoren in Ostberlin. In 23 Betrieben der Metall- und Elektrobranche zeigten nach Angaben der Gewerkschaft über 6.000 Beschäftigte ihre Muskeln und legten kurzfristig die Arbeit nieder. Mit ihrem Gang ins Freie protestierten sie gegen die Weigerung der Arbeitgeber, die Löhne nicht – wie 1991 in einem Stufenplan vereinbart – ab 1. April auf rund 80 Prozent der Westlöhne heranzuführen. Parallel zu den Warnstreiks nahmen laut IG Metall mehr als die Hälfte der rund 20.000 Ostberliner Beschäftigten in der Elektro- und Metallindustrie an einer Befragung teil, die die Stimmung für weitere Kampfmaßnahmen erkunden soll. Mit einem Votum „wie zu den Wahlen in der DDR“ rechnete gestern Klaus Helmerichs, in der Bezirksverwaltung der IG Metall für Tariffragen zuständig.
Der Streik hatte sich schon im Februar angekündigt, nachdem die regionalen Arbeitgeber der Elektro- und Metallbranche einseitig die ein Jahr nach der Vereinigung getroffene Vereinbarung über eine stufenweise Anhebung der Ostlöhne an Westtarife gekündigt hatten – ein in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einmaliger Vorgang. Die Gewerkschaften sehen darin einen Schritt, die Tarifautonomie aus den Angeln zu heben. Sollten die Arbeitgeber bei ihrer bisherigen Haltung bleiben, droht daher Ende April ein Streik größeren Ausmaßes. Zunächst einmal will die IG Metall nach Ostern mit weiteren kurzfristigen Arbeitsniederlegungen im Ostteil der Stadt Druck machen. Über den Antrag einer Urabstimmung für einen längeren Streik soll die IG- Metall-Tarifkommission für Berlin und Brandenburg dann am 16.April entscheiden – zwei Tage vor der entscheidenden Vorstandssitzung der Gewerkschaftsspitze in Frankfurt am Main.
Für viele Beschäftigte aus dem Ostteil war die Aktion eine neue Erfahrung. Angesichts der schlechten Wirtschaftslage und der in vielen Betrieben vorgesehenen Entlassungen zeigten sich viele Betriebsräte zufrieden mit der relativ hohen Teilnahme. Bei den Elektro-Apparate-Werken (EAW) in Treptow legten nach Angaben des Betriebsrats rund 70 Prozent die Arbeit nieder. Betriebsratsvorsitzender Eberhard Busse befürchtete gegenüber der taz „Wildwestmethoden“ bei Lohnverhandlungen, sollten die Arbeitgeber die Kündigung der Tarifverträge nicht zurücknehmen. Lutz Epperlein, Betriebsratsvorsitzender von AEG-TRO in Oberschöneweide, erklärte, die jetzige Manifestation könne nicht darüber hinwegtäuschen, daß „viele doch sehr verunsichert sind“. Severin Weiland
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