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„Ich begreife mich nicht als Ausländerin“

Ihr Erscheinungsbild macht sie zur Außenseiterin: Portrait von Gülseren Karakaya, Studentin der islamischen Philologie und Islamkunde an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz  ■ Von Ilyas Mec

Das Kopftuch streng um das Haar geschlungen, eine langärmlige Bluse und ein bis zu den Fußknöcheln ragender Rock. Arme und Beine sind bedeckt: die Studentin Gülseren Karakaya gibt mit ihrer Kleidung ein auffallendes Bild in der anonymen Akademikermasse der Mainzer Universität ab. Ihr praktisch bis auf die Hände verhüllter Körper ist für sie ein Ausdruck der Zugehörigkeit zum Islam. Dieses Erscheinungsbild macht es der seit 19 Jahren in Deutschland lebenden Türkin nicht leicht, von der westlichen Gesellschaft integriert zu werden.

Schon in der Grundschule – sie war noch nicht verschleiert – wurde sie wegen ihrer dunkleren Haar- und Hautfarbe von den Spielen und Aktivitäten der anderen KlassenkameradInnen ausgeschlossen. Später, ab der Pubertät, kam mit dem Kopftuch für die gläubige Muslimin ein gravierenderes Problem hinzu. „Viele Schulkameraden schimpften mich damals aus und rissen mir oft das Kopftuch runter. Es war nicht einfach für mich, aber ich wollte es durchhalten und dagegen ankämpfen“, erinnert sich Gülseren Karakaya. Während ihrer Schulzeit sah sie sich offenen Ressentiments ausgesetzt. Heute zieht sie vor allem in der Uni erstaunte Blicke auf sich, die wie Gülseren Karakaya betont, nicht nur auf ausländerfeindlichen Einstellungen beruhen: „Viele KommilitonInnen, die mich später näher kennengelernt haben, sagten mir, daß sie am Anfang überrascht darüber waren, eine Frau mit Kopftuch an der Uni studieren zu sehen.“

Die sichtbaren Zeichen ihres religiösen und kulturellen Bekenntnisses mit sich zu tragen bedeutet für Gülseren Karakaya, sich ständig mit den Klischees auseinandersetzen zu müssen. So wird das Kopftuch beispielsweise gleich mit einer bestimmten Persönlichkeit assoziiert: „Die Leute schauen einen oft verächtlich an und denken dabei wohl, daß wir die Dummheit in Person seien.“ Da kommt es nicht selten vor, daß die junge Türkin von einigen, Ausländern gegenüber besonders „rücksichtsvollen“ Deutschen in holprigem „Tarzan-Deutsch“ angesprochen wird. Bis diese zu der Erkenntnis gelangen, daß das „verschleierte Wesen“ der deutschen Sprache in Wort und Schrift weit mächtiger ist als sie selbst.

Die These, daß das Kopftuch und damit die Verhüllung des Körpers der Frau eine Unterdrückung bedeutet, will Gülseren Karakaya nicht teilen. Die Frauen, sagt sie, verhüllten sich aus religiöser Überzeugung. Nur das zähle. „Männer, die ihre Frauen zum Kopftuchtragen zwingen, handeln gegen die Gebote des Korans.“

Eine wesentlich größere Unterdrückung der Frau stellt in den Augen der 22jährigen Studentin die „Vermarktung der Frau als Sexobjekt in der Werbung“ dar. Die Frage, warum sie sich der Außenwelt nur verschleiert zeigen will, beantwortet sie denn auch mit der Deutung einer Sure aus dem Koran: „Ich empfinde es als störend, wenn sich die Menschen nur auf mein Äußeres, auf das Vergängliche konzentrieren. Wenn ich nicht attraktiv wäre, hieße das ja, daß keiner mich mehr beachten würde. Im Islam darf es das nicht geben.“

Auf ihre gepflegte Erscheinung legt Gülseren Karakaya viel Wert – auch das steht im Einklang mit den Geboten des Islam. Entgegen dem Klischee einer verhüllten Muslimin aber schmücken Silberringe ihre Finger. Auch goldene Armreifen verhüllen ein Teil ihres Armes, der von der Kleidung unbedeckt bleibt. „Eigentlich ist das nicht erlaubt, Schmuck zu tragen“, gesteht sie, „aber es ist ja nicht so, daß ich dafür meine Körperteile entblöße.“

Ein gläubige Muslimin wird Frau nicht dadurch, daß sie ihr Äußeres bedeckt. Um das Morgengebet zu verrichten, müssen gläubige Moslems täglich vor Sonnenaufgang aufstehen. Je nach Jahreszeit ist das entweder um 5 oder um 6.30 Uhr. Insgesamt fünfmal soll das Gebetsritual vollzogen werden. Was anfangs im Islam als Zeichen der völligen Unterwerfung unter Gottes Gesetz eingeführt wurde, ist im Zeitalter der Wettbewerbsgesellschaft jedoch ein zeitaufwendiges, zuweilen unmögliches Unterfangen. Nicht selten muß Gülseren Karakaya an einem Abend mehrere Gebete nachholen, da in der Universität die Einrichtungen dafür fehlen. Trotzdem sieht sie die Dinge gelassen. Sie bekennt sich zu ihrem Glauben und möchte ihn auch in dieser Form weiterhin praktizieren. Außer durch ihr äußeres Erscheinungsbild unterscheidet sie sich nicht viel von ihren deutschen KommilitonInnen. Sie hört gerne Popmusik und „mag es, Leuten Streiche zu spielen“.

Ihr Studium finanziert sie sich mit einem Nebenjob als Übersetzerin in einer Wiesbadener Marketing-Firma. Sie ist zielstrebig und blickt gelassen in die Zukunft. Sofern sie einen guten Abschluß hat, möchte sie als Dozentin für persische und türkische Sprache arbeiten – in Deutschland versteht sich. Hier fühlt sie sich trotz der ausländerfeindlichen Ausschreitungen der letzten Monate „wohl“. „Ich begreife mich nicht als Ausländerin. Ich bin hier aufgewachsen und gehöre zu dieser Gesellschaft.“ Einen deutschen Paß hat Gülseren Karakaya beantragt.

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