: Würgeengel in der Kita
■ Eltern klagen an: In der Kita Anhaltspunkt betreute Kids leiden unter Angstzuständen / Dosenfutter statt Vollwertkost
Schöneberg. Als die fünfjährige Fatime (Namen von der Red. geändert) aus der Kita Anhaltspunkt nach Hause kam, hielt sie den Kopf steif und stöhnte bei jeder Bewegung. Erst druckste sie herum, sie dürfe nicht darüber reden. Dann aber erzählte sie ihrer Mutter, daß die Hortleiterin sie gewürgt habe, weil sie beim Essen mit einer Freundin gesprochen hatte. Tagelang hatte das Mädchen die Fingerspuren am Hals.
Als der kleine Gabriel in derselben Kita seiner Tischnachbarin mit einer Gabel in die Wange stach, waren die Erzieherinnen gerade beim Putzen. Sabine konnte während eines Ausflugs wegen einer Erkältung und leichtem Fieber nicht mehr weiter. Die Hortleiterin ohrfeigte sie so heftig, daß sie hinfiel. „Wenn ihr das irgend jemandem erzählt, passiert euch das gleiche“, hieß es zu den anderen Kindern. Die scharlachkranke Julia wurde auf eine Spielplatzbank neben einer Straßenkreuzung gelegt. Obwohl Miriam schon seit drei Monaten abgemeldet ist, bekommt sie Angstzustände, wenn sie an die Schrei- und Wutanfälle der Hortleiterin denkt. Frank wurde in der Zeit zum Bettnässer.
Etwa 30 Eltern haben sich jetzt zusammengetan, um etwas gegen die Zustände in der seit 1984 bestehenden EiKita zu unternehmen. Am vergangenen Freitag trafen sie sich zum ersten Mal. „Jedes Elternteil mußte bei der Anmeldung unterschreiben, jeglichen Kontakt zu anderen Eltern oder zu Angestellten zu meiden oder abzubrechen“, sagt Initiatorin Christine Vogel-Nischan. Wer gegen dieses eiserne Gebot verstieß, indem er etwa ein befreundetes Kind mit Eltern zum Kindergeburtstag einlud, mußte mit Verleumdungen rechnen. „Das sei kein Umgang für mich, die lebten in Scheidung“, habe die Leiterin zu ihr gesagt, berichtet eine Mutter.
„Uns wurde vermittelt, wir müßten dankbar dafür sein, in einer solchen Kita aufgenommen zu werden“, sagt Miras Vater. Der Anhaltspunkt am Reichpietschufer ist eine besonders gut ausgestattete Kindertagesstätte. Die 500 Quadratmeter große Einrichtung ist stets blitzsauber, zum Erntedankfest steht ein Wagen mit frischem Obst und Gemüse in einem der Spielzimmer, und vor Weihnachten hängen rote Äpfel im Eingangsbereich. Leiterin Heike Griebentrog und Hortleiterin Hannelore Merfert halten den Eltern wöchentlich Vorträge über das pädagogische Gesamtkonzept der Kita und die vollwertige Ernährung. Obst und Gemüse würden täglich frisch vom Markt oder vom Bauern gekauft. Das rechtfertige die hohen Beiträge.
Die wiederum wurden frei verfügt. „Meine Beiträge stiegen in drei Monaten von 170 auf 280 Mark“, sagt eine Mutter. Mit einer anderen wurden 350 Mark vereinbart, die sie bar und ohne Quittung zu entrichten hatte. Bei Eltern-Initiativ-Kindertagesstätten ist der Träger ein Verein, dessen Mitglieder normalerweise die Eltern bilden. Von den anwesenden Eltern hat niemand je eine Satzung oder gar ein Vereinsmitglied vor Augen bekommen. Der Vorstand komme lediglich zweimal im Jahr zum Kaffeetrinken, weiß eine ehemalige Praktikantin.
Auch ein pädagogisches Konzept habe sie in den zwei Jahren, die sie dort gearbeitet habe, nicht entdeckt, sagt eine Erzieherin. Statt dessen wurden die Kinder vor den Fernseher oder das Videogerät gesetzt, da die Erzieherinnen vor allem zu Putz- und Küchenarbeiten herangezogen wurden. Sie mußten täglich zu Aldi und zum Euromarkt, um palettenweise Dosen, Fischstäbchen, Schweinefleisch und Süßspeisen zu besorgen. Das Obst im Erntedankkarren war nur zum Anschauen.
Die Kita-Aufsicht des Senats wurde schon vor Jahren immer wieder durch einzelne Eltern auf die Mißstände hingewiesen. „Wir sind an den langwierigen Rechtsweg angewiesen, um die Rechte aller Betroffenen zu wahren“, sagt Thomas Wieseler von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. Nach einer Ortsbesichtigung soll die Entscheidung über den weiteren Betrieb des Anhaltspunkts jedoch im Lauf der kommenden Woche fallen. Corinna Raupach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen