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Auf verlorenem Posten

1. FC Nürnberg – Schalke 04 1:4/ Harte Zeiten für „Weltklassetorhüter“ Köpke  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Wie kann das passieren? Vor knapp zwei Wochen versah Bundestrainer Berti Vogts den Nürnberger Keeper Andi Köpke nach dessen Auftritt im Ibrox Park gegen Schottland mit dem Prädikat „absolute Weltklasse“, dann kassierte derselbe Köpke bei nur zwei Bundesligaspielen sage und schreibe acht Treffer? Leidet unser Bundesberti etwa an Realitätsverlust? Nein, sonst müßten sich ja auch alle Mannschaftskapitäne der Bundesliga geirrt haben, als sie Köpke zum „Spieler des Monats März“ kürten. Oder ist die bislang so sattelfeste Abwehr des 1. FC Nürnberg, der es allein zu verdanken war, daß die Mannschaft mit nur 21 erzielten Toren ganze 22 Punkte erreicht und damit den Minimalisten einen Mittelfeldplatz gesichert hatte, derzeit offen wie ein Scheunentor?

Die absolute Flaute im Sturm des 1. FC Nürnberg sowie grassierende Frühjahrsmüdigkeit bei den Spielern im defensiven Bereich ließen den einst ruhmreichen 1. FC Nürnberg schon letzte Woche beim Tabellenvorletzten VfL Bochum mit 0:4 und jetzt auch am Wochenende zu Hause gegen Schalke mit satten 1:4 untergehen – ohne daß Torwart Köpke dabei irgendeine Schuld traf. Schalkes Trainer Helmut Schulte, der von den etwa 8.000 mitgereisten Schalker Fans euphorisch gefeiert wurde, brauchte daher auch nur einen einzigen Satz, um das Spiel differenziert zu analysieren: „Wir haben heute zwangsläufig gewonnen.“

In der 24. Minute konnte Köpke einen Scharfschuß von Schalkes Torjäger Anderbrügge nur abklatschen, den anschließenden Fallrückzieher von Sendscheid wehrte die Clubabwehr mit vereinten Kräften direkt wieder vor die Füße von Anderbrügge ab, und der schoß aus dem Gewühl heraus den Ball unhaltbar ins Netz. Zwei Minuten später nutzte Mihajlovic nicht nur den Steilpaß von Büskens, sondern auch eine der Tiefschlafphasen der Nürnberger Abwehr und bezwang Köpke mit einem Flachschuß. Ein Aufbäumen gab es beim Club nicht, dafür aber nach dem ersten gelungenen Spielzug in der 37. Minute den Anschlußtreffer durch Dorfner.

Wer in der zweiten Halbzeit einen furiosen Sturmlauf des 1. FCN erwartet hatte, sah sich getäuscht. Einfallslosigkeit prägte über weite Strecken das Spiel. Schwabl bestach durch kreisläuferische Qualitäten ohne Raumgewinn, Stürmer Eckstein versteckte sich hinter seinem Gegenspieler, Talent Wück rannte sich fest, und der Rest der Elf verstand Fußball weniger als Mannschaftsspiel denn als Solowettbewerb nach dem Motto: Wer schafft es mit dem Ball am Fuß die meisten Gegenspieler zu umkurven – abgeben strengstens verboten. Zwangsläufig folgten Ballverluste und ebenso zwangsläufig Konterchancen von Schalke. So auch in der 76. Minute mitten in einer Drangperiode des 1. FC Nürnberg. Sendscheid fing einen Nürnberger Angriff ab, stürmte auf und davon, paßte zu Borodjuk, und der schoß aus kurzer Distanz ein. Sieben Minuten später dann das 1:4 durch einen herrlichen Schuß vom Michael Büskens direkt in den Winkel. Die Schalker hatten damit ihr Soll übererfüllt. Bislang erzielten sie pro Spiel lediglich 0,91 Tore.

Und Torwart Köpke? Zwei Tage zuvor hatte er nach einem langen Tauziehen seine Unterschrift in einer öffentlichen Inszenierung unter einen Dreijahresvertrag mit garantierter Jahresgage von einer Million Mark gesetzt und viele der anwesenden Clubfans zu Tränen gerührt. Jetzt konnte er den Schlußpfiff kaum abwarten und spurtete kommentar- und ratlos sowie sichtlich verärgert an den auf ihn angesetzten Interviewteams vorbei in die Kabine. Er brauche ja nicht unbedingt Meister werden, hatte er beim Vertragsabschluß Avancen des FC Bayern München zunichte gemacht. Es sei vielmehr eine „Herausforderung, mit dem Club nach oben zu kommen“. Nach 1:7 Punkten in Folge wird in dieser Saison wohl nichts mehr daraus werden. Ob Köpke bei seinem abrupten Abgang in die Kabine wohl an die Klausel in seinem Vertrag gedacht hat, mit der er sich für den Fall des Abstiegs abgesichert hat? Trainer Entenmanns Ratschlag („Ruhe bewahren, wir kriegen das wieder hin“) hat er jedenfalls nicht mehr mitbekommen.

Schalke 04: Gehrke - Güttler - Eigenrauch, Linke - Luginger, Borodjuk, Müller, Anderbrügge, Büskens - Mihajlovic (69. Prus), Sendscheid

Zuschauer: 42.000

Tore: 0:1 Anderbrügge (25.), 0:2 Mihajlovic (26.), 1:2 Dorfner (37.), 1:3 Borodjuk (76.) 1:4 Büskens (83.)

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