: Knöllchenverteilung ganz privat
■ Streit u Effektivität der 160 "Damen in Blau": Schlechte Arbeitsmoral verhindert Überwachung des ruhenden Verkehrs / SPD und "AG City" fordern Privatisierung
Berlin. Uff, geschafft! Das Auto steht! Ein Blick in den Rückspiegel: Eine Politesse ist nicht zu sehen, also kann man die Parkuhr am Straßenrand ruhig ignorieren. FalschparkerInnen können sich freuen: Die Chance, daß ihnen eine der 160 „Damen in Blau“, die für die Überwachung des ruhenden Verkehrs in ganz Berlin zuständig sind, auf die Schliche kommt, ist äußerst gering.
Rolf Wiedenhaupt von der „Arbeitsgemeinschaft City“, einem Zusammenschluß von Wilmersdorfer Geschäftsleuten, sieht das nicht so positiv: „Die Zustände sind katastrophal“, sagt er. Gerade im Innenstadtbereich sei es für ihre Kunden unmöglich, kurz zu parken und einkaufen zu gehen. Schuld daran seien die FalschparkerInnen, die die wenigen vorhandenen Parkplätze stundenlang blockieren. Mit dem derzeitigen Personalstand der Polizeiangestellten im Verkehrsüberwachungsdienst, wie die Politessen im Bürokratenmund heißen, sei daran auch nichts zu ändern. Die Arbeitsgemeinschaft City schlägt daher eine Privatisierung der Strafzettelverteilung vor. Privat angeheuerte Kolonnen könnten viel effektiver Jagd auf die ParksünderInnen machen und den City-Bereich systematisch durchkämmen.
Auch Helmut Hildebrandt (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses im Abgeordnetenhaus, ist ein Verfechter der Privatisierung. Falsches Parken gefährde die öffentliche Sicherheit, glaubt der SPD-Mann. Mindestens 60 Prozent aller Verkehrsunfälle würden durch ordnungswidrig abgestellte Fahrzeuge verursacht, sagt er. Helmut Hildebrandt macht jedoch nicht allein die mangelnde Zahl der Politessen verantwortlich, sondern auch deren Arbeitsmoral. Eine Überprüfung durch den Landesrechnungshof habe ergeben, daß die Bußgelder, die diese Polizeiangestellten eintreiben, nur knapp ihre Personalkosten decken. „Ein privatwirtschaftlicher Betrieb hätte schon längst Pleite gemacht“, meint er.
Statt sich einzeln und konzentriert auf die Jagd nach falsch geparkten Autos zu machen, würden die Politessen ihre Zeit mit Schwätzchen mit Kolleginnen und Einkäufen vertrödeln. Und die Dienstaufsichtsbehörde schaue tatenlos zu. Zwar sei nach geltendem Recht eine Privatisierung der Verkehrsüberwachung nicht möglich, aber das könne man ja ändern. Er will sich dafür einsetzen.
„Mit dieser Diskussion wollen sich die Politiker doch nur vor ihrer Verantwortung drücken“, kontert Klaus Eisenreich, Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei, auf diese Vorwürfe. „Statt mehr Stellen für die Verkehrsüberwachung zu bewilligen, geben sie jetzt den Angestellten die Schuld.“ Außerdem könne man die Angestellten des öffentlichen Dienstes nicht nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip bewerten, sagt er weiter. Wenn man die Knöllchenverteilung einer privaten, gewinnorientierten Firma überlasse, werde der Willkür Tür und Tor geöffnet.
Eine Entscheidung für oder gegen die Privatisierung ist nicht in Sicht. FalschparkerInnen müssen sich also weiter mehr vor zu Selbstjustiz greifenden BürgerInnen fürchten als vor den Politessen. Militante RadfahrerInnen wissen sich indessen gegen auf dem Fahrradweg abgestellte Autos zu wehren: Als bestes Mittel gelten eine Geldmünze oder ein Schlüssel, die unauffällig beim Vorbeifahren gezückt werden und tiefe Kratzer im Lack hinterlassen. Julia Gerlach
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