: Osterunruhe in der Bundesregierung
AWACS-Streit: Justizministerin verärgert mit Drohungen an die Union eigene Parteifreunde ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack
„Frauen in der Justiz“ hieß das Thema, zu dem Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gestern vormittag im Bonner Presseclub sprechen sollte. Doch richtig interessiert waren die Journalisten nur an der Zukunft einer ganz bestimmten Frau in der deutschen Justiz: an der Justizministerin selbst und ihrer Drohung, die FDP-Minister könnten die Regierung verlassen, wenn die Union im Awacs-Streit zu weit gehe.
Diese Worte, getan in der Süddeutschen Zeutung, wiederholte Leutheusser-Schnarrenberger nicht. Aber sie zog sie auch nicht zurück. Wenn das Verfassungsgericht den FDP-Antrag auf eine Einstweilige Anordnung gegen eine deutsche Beteiligung an den Awacs-Flügen aus rein formalen Gründen ablehne und sich dabei nicht zur Frage der Verfassungsmäßigkeit äußere, dürften die deutschen Soldaten „nicht in den Awacs-Maschinen sitzen“, bekräftigte die Ministerin.
Eine Entscheidung, in der sich das Karlsruher Gericht nicht zur Sache äußere, sagten Schnarri- Helfer, schaffe „keine Klarstellung“ über die Verfassungslage. Folglich, so die FDP-Ministerin, müsse die Koalition neu beraten und einen „Weg“ finden, wie man das Problem löse, bis Karlsruhe — nach Wochen oder noch später — in der Hauptsache entschieden habe.
Im Kanzleramt versuchte man gestern, die Aufregung zu dämpfen. Die Äußerungen seien, so hieß es, innerhalb der FDP eine „Einzelmeinung“. Zuvor hatten FDP- Fraktionschef Hermann Otto Solms und FDP-Bauministerin Irmgard Schwaetzer abgewiegelt. Die Koalitionsfrage, versicherte Solms, stelle sich nicht. Wie er den drohenden Konflikt zwischen Union und FDP lösen wolle, sollte das Gericht in der von der Justizministerin beschriebenen Weise eine Nicht-Entscheidung treffen, verriet der Fraktionschef nicht.
In der FDP-Fraktion hofft man, daß das Gericht wenigstens einen kleinen Hinweis gibt, wie es die verfassungsrechtliche Lage beurteilt. „Eine gewisse Klärung des Rechtsstreits“, so hieß es, wäre hilfreich. Sollten die Verfassungsrichter solche Hinweise verweigern, müsse man „neu beraten“, da sind sich Frei- und Christdemokraten einig.
Im vor zwei Wochen formulierten Awacs-Kompromiß legten die Verhandlungspartner lediglich das Prozedere bis zu einem Gerichtsbeschluß fest: Durch den Gang der FDP nach Karlsruhe, so heißt es in dem internen Koalitionspapier wörtlich, „wird vor einem Einsatz der Bundeswehr eine verfassungsrechtliche Klärung herbeigeführt“. Was aber, wenn sich das Karlsruher Gericht erdreisten sollte, den Bonner Koalitionsbeschluß frech zu ignorieren und die Klärung nicht zu liefern?
Für diesen Fall vereinbarten Union und FDP nichts. In der FDP verweist man lediglich auf eine Zusage, die Kanzler Helmut Kohl seinem Außenminister Klaus Kinkel mündlich gegeben habe. Falls Karlsruhe keine Entscheidung treffe, müßten die deutschen Soldaten die Awacs-Maschinen verlassen.
Egal, was Helmut Kohl denkt: Nicht alle in der Union sind gegenüber der FDP so milde gestimmt, wie er. „Keine Antwort ist auch eine Antwort“, beharrte gestern CSU-Landesgruppenchef Michael Glos.
Sollte das Verfassungsgericht die Klage nicht annehmen, bedeutete dies, daß der Militäreinsatzes über Bosnien gebilligt werde. Dann müsse es beim gegen die FDP-Minister gefaßten Kabinettsbeschluß vom letzten Freitag bleiben, die deutschen Soldaten an Bord der Awacs-Flugzeuge zu lassen. Über die Drohung der Justizministerin, so Glos, sei er „mehr als verwundert“.
Die SPD nahm Schnarrenbergers Worte als Beleg der „inneren Auszehrung des christlich-liberalen Bündnisses“. Aber, so fügte SPD-Sprecherin Cornelie Sonntag hinzu, die FDP habe „zu lange laviert, um jetzt zu lamentieren“. Jetzt sei die Partei „in der selbst geknüpften Schlinge gefangen“.
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