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Bizarre Klanglandschaften

■ Tim Berne mit Saxophon und Caos Totale im Packhaus

Von KennerInnen wird der US-Saxophonist Tim Berne als einer der innovativsten und interessantesten Köpfe der Jazzszene gehandelt. Ein Ruf, der in Bremen noch nicht angekommen zu sein scheint, nur etwa 50 ZuhörerInnen hatten sich auf dem Orchesterboden des Packhaustheaters im Schnoor eingefunden, um Berne mit seinem Caos Totale-Ensemble zu hören.

Und zu hören gab es einiges! Berne selbst beschreibt sein musikalisches Konzept so: „Worauf es mir ankommt, ist Wege zu finden, Komposition und Spontaneität so miteinander zu verbinden, daß die Kluft zwischen beiden schrumpft, oder, anders gesagt, auszuprobieren, wie weit man Form und Struktur an den Abgrund des Chaos vorschieben kann, ohne abzustürzen.“

Auf diese Gratwanderung begaben sich am Dienstag neben Berne (as), Herb Robertson (tp, flh), Steve Swell (tb), Marc Ducret (g), Mark Dresser (b) und Bobby Previte (dr). Die sechs Könner nahmen die ZuhörerInnen auf eine furiose Reise durch bizarre Klanglandschaften mit, voll von überraschenden Wechseln und Stimmungsumschwüngen. Einem nervösen, hektischen Großstadtgetümmel mit breiten Straßen und Schaufenstern voller Auslagen folgten karge Landschaften, zerklüftet, rauh, in denen gebrochene Stimmen tonsuchend umherirren, um im nächsten Moment mitten auf einer belebten Kreuzung zu stehen über die was auch immer in die unterschiedlichsten Richtungen hastet, atemlos, zielstrebig ziellos, kakophonisch.

Plötzlich sind indianische Trommeln zu hören, die ayler-artige Melodieschreie untermalen — oder heraufbeschwören? Dies ist nur eine Annäherung an die KLangvielfalt der komplexen Kompositionen, in denen kammermusikalische Stimmungen neben expressiven Ausbrüchen standen, die unterschiedlichsten Stile als kurze Zitate aufblitzten oder als ausgeformte Sequenz einer Collage ausgespielt wurden. In denen die Soli nicht in erster Linie als Beweis der Virtuosität des Instrumentalisten dienten, sondern einer Stimme, einem Klang oder Sound gewidmet waren. Eines besonderen Beleges der Virtuosität bedurfte es ohnehin nicht, sie war nicht zu überhören. Ein zweistündiges Konzert voller abenteuerlicher Klänge, grenzüberschreitend — Chaos total. Arnaud

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