Vom Scherbenhaufen zur Reformpartei?

■ Frankreichs Sozialistenchef will die Partei erneuern / Heftige Widerstände

Paris (taz) – Der neue französische Sozialistenchef, Michel Rocard, will einen Scherbenhaufen kitten: In einem Brief an die 134.000 Parteimitglieder rief er die Basis für Anfang Juli zu „Generalständen“ auf, die „zu einer völlig neuen Formation“ führen sollen. „Alles muß neu aufgebaut werden. Laßt es uns schnell und gemeinsam tun“, schrieb Rocard. Der Sonderparteitag soll auch interessierten SympathisantInnen offenstehen.

Auf dieser Tagung dürfte sich die erst 22 Jahre alte „Parti socialiste“ einen neuen Namen geben und eine neue Linie ausarbeiten. In Frankreich ist es Tradition, daß linke wie rechte Parteien in schwierigen Zeiten ihre Namen wechseln; diese angeblichen Erneuerungen erlaubten es einer kleinen Politikerkaste, die Zügel über Jahrzehnte hinweg in der Hand zu behalten.

Für den Herbst plant Rocard dann einen „Kongreß der Linken“, auf dem die SozialistInnen den Dialog mit allen übrigen linken und fortschrittlichen Strömungen aufnehmen sollen – in der Hoffnung, daß sich daraus die linke Sammelbewegung entwickelt, die Rocard mit seiner spektakulären Rede vom „Urknall“ im Februar anvisiert hatte und die ihn im Präsidentschaftswahlkampf 1995 stützen soll.

Ob diese Strategie aufgeht, steht in den Sternen. Zunächst einmal muß Rocard enorme Widerstände innerhalb seiner Partei überwinden: Obwohl die Parteispitze in der Nacht zum Sonntag ganz regulär den Rücktritt des vorherigen Parteichefs Laurent Fabius beschlossen hatte, zweifeln große Teile der PS Rocards Legitimität an. Der ehemalige Premierminister ist jetzt Vorsitzender einer provisorischen kollegialen Parteileitung, die lediglich den Sonderparteitag vorbereiten soll. Das Interims-Gremium hat theoretisch aus 21 Sitze, die den verschiedenen Parteiströmungen je nach Stärke vorbehalten wurden. Bislang verweigern jedoch zahlreiche Flügel die Mitarbeit, und zehn Posten sind daher vakant.

Die Turbulenzen innerhalb der Parteispitze beweisen erneut, daß die PS keine zusammenhängende programmatische Partei ist, sondern ein loser Zusammenschluß aus Gruppen, die sich jeweils um eine Persönlichkeit scharen und sich nach ihr als „Fabiusianer“, „Rocardianer“, „Jospinisten“ etc. bezeichnen. Politische Differenzen sind dabei weniger bedeutend als die persönlichen Animositäten. Nach der Entmachtung von Fabius dürfte sich Rocard den „Parteifreund“ für immer zum Gegner gemacht haben. „Ich werde meine Energie jetzt für den grundsätzlichen Wiederaufbau der Linken einsetzen“, sagte Fabius im Hörfunk. Das klang, als gehöre er der PS gar nicht mehr an.

Staatspräsident und PS-Gründer François Mitterrand, so verbreitete der Elysee zurückhaltend, sei über die Vorgänge in seiner Partei „traurig“. In Wahrheit dürften seine Gefühle heftiger sein, denn schließlich ist Fabius Mitterrands Zögling und Rocard sein seit jeher gehaßter Gegner. Deshalb ist auch damit zu rechnen, daß Mitterrand alles daransetzen wird, Rocards Pläne zum Scheitern zu bringen. Da die „Fabiusianer“ die PS- Fraktion in der Nationalversammlung beherrschen und auch mächtige Parteiverbände dirigieren, dürfte es für Rocard äußerst schwierig werden, die Einheit und die angestrebte Erneuerung der Linken auch zu verwirklichen. Bettina Kaps