: Das Ferne wurde urplötzlich ganz nah
■ Von 1925-1944: Das Altonaer Museum zeigt legendäre Fotoarbeiten aus den Archiven des Ullstein Bilderdienstes
zeigt legendäre Fotoarbeiten aus den Archiven des Ullstein Bilderdienstes
Zeitungen und Magazine ohne Bilder erscheinen heute kaum vorstellbar. Doch erst vor gut hundert Jahren wurde es möglich, Fotos zusammen mit dem Text zu drucken. Am 9. Februar 1892 wurde die Reproduktion von Fotos mittels Rasters patentiert. Seit 1910 machte der Kupfer-Tiefdruck aus der Rotationsmaschine gute Bilder in Massen erschwinglich. Als dann in den zwanziger Jahren mit der Leica erstmals eine handliche 35mm Kleinbildkamera zur Verfügung stand, brach die Flut der Bildreportagen los. Nicht mehr ein entscheidendes Bild illustrierte ein Ereignis, es wurde in seinen verschiedenen Aspekten in umfangreichen Serien beleuchtet.
Solche filmischen Erzählweisen prägten Sachthemen genauso wie Gesellschaftsberichte: Erst zeigt einer grundlos zum Turm, am Ende von zwölf Fotos ergibt sich ein ganzer Volksauflauf (Auto-Suggestion von Alex Stöcker, 1926); Ein Skihotel wird in zweiundzwanzig Bildern aus der Ferne über das Treppenhaus bis zum Dandy am Kamin quasi herangezoomt (Alfred Eisenstaedt, 1934). Solche Bildserien, herausgelöst aus dem redaktionellen Textbeitrag und an der Wand präsentiert, treffen sich über dieJahrzehnte mit einer wieder aktuellen Methode heutiger Künstlerfotografen.
Die Ausstellung von Photo-Sequenzen aus den Jahren 1925-1944 im Altonaer Museum zeigt diese Entwicklung. Sie ist aus den Beständen des Ullstein Bilderdienstes zusammengestellt. Im diesem knapp hundert Jahre alten Archiv lagert als ältestes Foto eine Aufnahme des Hamburger Brandes von 1842 und eine Unzahl ungehobener Schätze, von denen ein Museum nur träumen kann. Noch heute ist der Bilderdienst ein privates Unternehmen und mit inzwischen mehr als zehn Millionen Fotos eines der größten Bildarchive der Welt.
In zweijähriger Arbeit haben der Berliner Museumspädagogische Dienst und das Museum Haus am Waldsee die Präsentation erstellt: Zu sehen sind 54 Fotoserien mit rund 500 Fotos von 35 Fotojournalisten, darunter fast alle berühmten Namen der Epoche.
Der Konstruktivist Laszlo Moholy-Nagy fotografiert einen Schienenturm von Hobby-Modeleisenbahnern so als wäre es eine Maschinenplastik des Bauhausmeisters, Lotte Jacobi ist mit Ansichten von Architektur und Einrichtungen von Walter Gropius vertreten, Felix H. Man dokumentiert Energiegewinnung aus vulkanischer Erdwärme, Andre Kertesz beobachtet den japanischen Maler Tsuguhara Foujita in Paris. Die Präsentation macht Teile des Textes zu Fototiteln, drängt so den einstigen Gebrauchscharakter der Fotos zusätzlich zurück.
Denn trotz aller direkter Wirkung wurde und wird die Bedeutung der Bilder, gerade bei betont sachlicher Fotografie, erst durch den Kontext gemacht. So konnte auch 1933 der exzellente Apparat der Berliner Bildpresse recht einfach und unauffällig auf NS-Linie gebracht werden. Aus den Getto- und Soldatenbildern Hilmar Pabels, um nur ein Beispiel zu nennen, wurde üble Propaganda, die zu verantworten er mit Hinweis auf den dokumentarischen Charakter der Bilderzeugung bestreitet. Viele der Fotografen verließen Deutschland, manche konnten in der angelsächsischen Welt eine zweite Karriere aufbauen wie Martin Munkacsi, der in den vierziger Jahren als der bestbezahlte Fotograf Amerikas galt, oder Eisenstaedt, von dem zwischen 1936 und 1964 über achtzig Titelfotos der Life stammen.
Nicht mehr die Berliner Illustrierte, sondern Life wurde zur größten aktuellen Zeitschrift der Erde. Einige der jüdischen Künstler wurden in der Todesmaschinerie der Nazis ermordet, so Erich Salomon, der indiskrete „Hof-Fotograf“ der Weimarer Politik, und Yva, bei der noch 1937 der junge Helmut Newton volontierte. Es brauchte Jahrzehnte, bis die Fotografie wieder das heute noch überraschend frische Niveau der frühen dreißiger Jahre erreichte. Hajo Schiff
Katalog 44 Mark, Altonaer Museum, Museumsstr. 23; bis 6.Juni.
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