: Kritische Feier bei Klassensprecher Meyer
■ „Einspruch!“ beging mit dem Thema „Weltuntergang“ einjähriges Jubiläum
„Sie haben die Sat.1-Sendung ,Ulrich Meyer: Einspruch!‘ kritisch, aber auch wohlwollend durch das Jahr begleitet“, stand in der Einladung, „nehmen Sie deshalb das Jubiläum zum Anlaß, mit dem gesamten ,Einspruch‘-Team zu feiern.“ „Nun denn“, dachten Herr Pehle und ich am vergangenen Dienstag ebenso kritisch wie wohlwollend, „gehn wir da mal hin!“ Schließlich hatten wir „Einspruch!“ bisher lediglich aus Versehen mal gesehen und waren noch nicht in der Lage, die austauschbaren Saubermänner Meyer und Kracht auf Anhieb zu unterscheiden. Außerdem meinte Herr Pehle, daß die wunderbare Maren Gilzer, bekannte und beliebte Buchstabenumdreherin vom „Glücksrad“, bestimmt auch dabei sei. Wir sitzen im Publikum, als die Spielregeln bekanntgegeben werden. Die sind folgendermaßen: Applaus für Meyer – belegte Brötchen und Bier für die ZuschauerInnen, hinterher. Kein Applaus – keine Brötchen und kein Bier. Und während der Rest des Publikums (Herr Pehle meint, daß es wesentlich vitaler sei als das bei Carolin Reiber) begeistert seine Seele verkauft, beschließen wir zu widerstehen. Aber darauf ist Sat.1 vorbereitet: Über uns werden gewaltige Heizstrahler angeschmissen. Die provozieren nach wenigen Minuten Hitze und derartigen Durst, daß wir für ein kühles Bier bedenkenlos jedem applaudieren würden, selbst wenn Marianne und Michael kämen, um vom Vileda- Wischmop zu singen.
Dann geht alles wie im Film, Herr Meyer kommt, ein der Situation völlig unangemessener Applaus sichert den kulinarischen Teil des Abends, und Gäste laufen ein: der Astronom Tiersch, überzeugter Verächter der Astrologie und einzig achtbarer Mensch im Ring; der „Lebensberater“ Thamar, der sich empört, daß die Horoskopgläubigen ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, statt seine – kostenpflichtigen – Kurse zu besuchen; sowie einige Sternenjünger, unter ihnen die Schauspielerin Cleo Kretschmer und Kurt Allgeier, Herausgeber irgendeiner suspekten Astrologie-Zeitschrift, der sich nicht schämt, in aller Öffentlichkeit zu erklären, daß er schon mal in Bild und Funk schreiben durfte. Maren Gilzer ist nicht dabei. Allgeier, der als einziger richtig prima starrsinnig scheint, aber Klassensprecher Ulrich Meyer leider in keinster Weise gewachsen ist, läßt einmal kurz sein Können aufblitzen, als er den Fall der Berliner Mauer und das Zerbrechen der Sowjetunion voraussagt (bzw. voraussagt, daß er das schon immer vorausgesagt habe; ganz richtig verstehe ich ihn nicht, weil Herr Pehle neben mir nörgelt, er wolle jetzt endlich Maren Gilzer sehen). Auch Cleo Kretschmer hat noch ihre Sternstunde, sie beginnt ihren Auftritt mit „also, ich denke ...“, relativiert diese tollkühne Behauptung aber sogleich: „... denke, daß der ganze Planet transformiert wird irgendwie ..., daß wir in ein neues Zeitalter eingehen und der neue Zeitgeist manifester wird, daß der alte jetzt wirklich abstirbt und der neue die Regierung übernimmt“.
Im ganzen aber ist die Sendung enttäuschend, weil mit Meyer keiner so richtig streiten will. Zum Glück wenigstens bleibt Herrn Pehle eine größere Enttäuschung erspart. Am Büfett trifft er hinterher die wunderbare Maren Gilzer und bekommt ein Autogramm. Martin Sonneborn
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