■ Renato Curcios erster Auftritt in der Öffentlichkeit: Etwas leiser wäre besser gewesen
Wieder ein Lehrstück aus Italien – in mehrfacher Hinsicht. Das Land versucht, anders als beispielsweise Deutschland, wirklich und mit allem Ernst nach Formen, mit denen die einst aus der Studenten- und Arbeiterbewegung hervorgegangene Zeit des Terrorismus bearbeitet werden kann, steuert auf die berühmte riconciliazione, die „Wiederversöhnung“ mit den Brigadisten und den Kombattanten der „Prima linea“ und all der anderen radikalen Gruppen zu. Auch wenn die „Halbfreiheit“ – Tagesausgang – für Renato Curcio ein verbrieftes Recht wegen guter Führung ist, steht sein Fall exemplarisch für andere – selbst der als Entführer von Christdemokraten-Chef Aldo Moro und als Auftraggeber für seine Ermordung zu mehrmals Lebenslänglich verurteilte Mario Moretti durfte den Knast schon für mehrere Tage zu einem Fortbildungskurs verlassen, Rotbrigaden-Mitgründer Fraceschini ist unbeschränkt entlassen worden.
Dennoch wäre zu wünschen gewesen, daß Curcio und seine, wie sich am ersten Entlassungstag gezeigt hat, riesige Fan-Gemeinde die „Versöhnung“ auch ihrerseits ernster nehmen: Das, was sich da abspielte, war bei allem Verständnis für die Freude über eine so lange ersehnte Konzession nach 17 Jahren Knast ein in Teilen geradezu widerwärtiges Spektakel, das nicht umsonst die Angehörigen der Opfer in höchste Erregung versetzt hat. Zwar erklärte sich Curcio als „auf politischer und moralischer Ebene verantwortlich für alle umgekommenen Personen“, doch dann schränkte er ein, daß „alle Opfer die Manifestation eines Konfliktes sind, den es innerhalb der italienischen Gesellschaft gab, auch die sechzig Toten auf unserer Seite, darunter meine Frau Mara Cagol“. Was stimmt, doch gefragt war nach einem Wort für die Opfer, nach einer menschlichen Regung für sie, nicht nach einer kalt-rationalen historischen „Erklärung“. Zumindest eine Klarstellung zu seinen Worten nach der Ermordung Aldo Moros wäre zu erwarten gewesen: „Der Tod eines Klassenfeindes“, hatte er damals gesagt, „ist die höchstmögliche Aktion der Humanität in einer in Klassen geteilten Gesellschaft.“
Die Frage einer „Versöhnung“ stellt sich nicht nur von seiten des Staates, der in den „bleiernen Jahren“ tatsächlich hoffnungslos versagt, überreagiert hat, mitunter auch mit einer von internationalen Organisationen festgestellten sadistischen Grausamkeit und jenseits jeder rechtsstaatlichen Garantien vorgegangen ist. Die „Versöhnung“ ist auch eine Frage der Annäherung an jene, die den Preis für diese Verhärtung auf beiden Seiten bezahlt haben, und dazu gehören auch Polizisten, die Staatsanwälte und Richter, die von den Brigadisten an- oder erschossen, entführt und mitunter auch mit allerlei peinigendem Terror „verhört“ wurden.
Und ganz sicher wird der Versöhnung nicht jene Supershow dienen, wie sie wohl nun als eine Art Nachtarocken in die Jahre gekommener Achtundsechziger unter Curcios Leitung angekündigt wurde. Voraussetzung für eine wirkliche „Aufarbeitung“ wäre zumindest, daß auch die Rotbrigadisten klarlegen, wie die Verhältnisse und die Beziehungen, die Vorgänge und auch die Einflüsse von außerhalb – etwa seitens der Geheimdienste und mancher Politiker – auf ihre Aktionen waren. Genau das, was der harte Kern und auch Curcio bis heute ablehnen. Werner Raith
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