: Der Tod der Gummikuh
■ "Reisschlüssel mit Ohren": RS 1100 R heißt der neue Boxer von BMW / Die taz flog Probe
Der Tod der Gummikuh
„Reisschüssel mit Ohren": RS 1100 R heißt der neue Boxer von BMW / Die taz flog Probe
“Neiiiin! Gottogottogott! Scheußlich! Der Teufel hat sie geritten!“ Die Puristen protestieren. Spezialisten stoßen spitze Schreie aus. Traditionalisten toben. Das unmögliche Motorrad, das die Bremer BMW-Niederlassung letzte Woche der taz vorgestellt hat, hört auf den Namen RS 1100 R und ist weder schwarz noch unverkleidet noch speichenbereift. Die 1100er ist mint wie die neuen Mützen der Postbeamten, verkleidet wie irgendein Japsen-Hobel und hat am Motor einen Schnabel. „Reisschüssel mit Ohren“ lästern Legendenfreunde und meinen die unvorteilhaft seitlich herausragenden Zylinder.
Die Legende ist der Boxer. Der Boxer ist, das ist unter Kennern unbezweifelbare Wahrheit, der einzig mögliche Motor für ein richtiges Motorrad. Er boxt nach links und nach rechts, verteilt seine Schläge mehr oder weniger gleichmäßig, und wenn er böse ist, schüttelt er sich und die FahrerIn, und das ist dann das Boxergefühl. Der Boxer ist simpel zu warten und boxt und boxt und boxt, so wie der Käfer lief und lief und auch einen Boxer hatte. Die Legende lebt, sagt BMW.
Denn mit der RS 1100 R wird ein Aggregat ins Jahr 2000 gehievt, das seit Jahrzehnten in BMW-Motorrädern nahezu unverändert boxt und als liebenswerter und zu ehrender Anachronismus anzusehen ist. Das geht nicht ohne Patinaverlust. Der neue Boxer boxt noch, das ist wahr. Er schluckt und spuckt indes jetzt aus vier Ventilen statt aus zweien und steht somit besser im Futter. Dieses bekommt er vom Computer zugeteilt — die Fachwelt spricht vom „Einspritzer“.
Wer die Kurve vom Vorurteil zum Vorteil kriegen will, muß den neuen Boxer fahren. Weil man da nicht sieht, was man fährt, sondern fühlt. Und das erste Gefühl, das sich einstellt: Man fühlt sich wohl. Pudelwohl. Das kommt vom Sitzen — an der Position von Sitzbank, Griffen und Fußrasten müssen promovierte Ergonomen ihren Schweiß vergossen haben. Der Motorradkritiker (1,93) muß das Prädikat „bandscheinbenfreundlich“ vergeben. Zwei Stunden Ausfahrt, und alle Rückenschmerzen sind weg.
Was heißt Ausfahrt?! Sprechen wir von Aus-Flug. Nach zwei Minuten fährt man, als hätte man nie ein anderes Tier gesattelt. Ein stilles Tier, die 1100er, bei 4000 Umdrehungen fordert der Motor schon den nächsten Gang, das spürt man deutlich. Dreht man aber höher, macht die BMW nochmal eine Schublade auf und läßt die Sau raus. Dann zerren die 90 Pferdchen an den Armen, ganz ohne Zweifel. Da wird die nächste Kurve bei Bruchhausen-Vilsen zum Auftrag. Doch diese BMW wickelt sowas locker ab und wackelt nicht. Die geht durch die Kurve wie ein Brett, und wem jetzt noch mal verklärt die Vorgängerin in den Sinn kommt, die gute alte Gummikuh — der ist doch recht perplex.
Richtig, wir sitzen laut Papieren auf einem Boxer! Man muß den Bock schon arg quälen, um das Boxergefühl wiederzufinden. Unter 2000 Touren, irgendwo da im Keller, hat es sich versteckt. Nichts für den Alltag. Vielleicht was für eine Gedenkminute im Neustädter Berufsverkehr.
Noch ein Wort zum „Schnabel“: Da, wo sonst Vorderrad und Gabel am Rahmen festgemacht sind, ist bei der RS 1100 R Luft. Es ist eine Art Schwinge, die die Gabeln in der Mitte hält. Eine irritierende, aber tendenziell ruhmreiche Erfindung von BMW zum Wohle der Fahreigenschaften und der Haltbarkeit. Zu gern wirbt die weißblaue Firma, deren Motorräder nicht selten fünf Mal um die Erde laufen, stolz mit der Angabe „Gabeln wartungsfrei bis 100.000 km“.
Gegen ordentlichen Aufpreis sind für die sturzfreie Vollbremsung ABS und fürs gesunde Abgas Kat zu haben. 20 Riesen muß man sowieso in der Tasche haben. Dafür bekommt man ein Motorrad, von dem man nicht mehr absteigen will. Mit dem Image des Verräters, der sich hat bestechen lassen und die alten Boxer-Ideale über Bord warf, muß man allerdings leben können.
Burkhard Straßmann
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