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Gengesetz aus der Retorte

Die Chemieindustrie hatte Erfolg: Das Gentechnikgesetz soll schon nach drei Jahren novelliert werden / EG-Konformität ist fraglich  ■ Von Manuel Kiper

Hannover (taz) – Der Druck der Chemieindustrie hat seine Wirkung getan. Das erst vor drei Jahren beschlossene Gentechnikgesetz soll novelliert werden. Nach einer massiven PR-Kampagne der Initiative pro Gentechnik übertrumpften sich die Technostrategen des Bundestags von CDU bis SPD in ihren Forderungen, den Gentechnikstandort Deutschland vor einer angeblich völligen Austrocknung zu bewahren und votierten im letzten November für eine rasche Deregulierung: Die Bundesregierung möge gefälligst die bürokratische Gängelung der vermeintlichen Zukunftstechnologie beenden. Jetzt liegt der Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium vor. Bis zum 19. März durften 111 Verbände beim Bundesgesundheitsminister ihre Statements zu dem Entwurf abgeben – neben den Gewerkschaften fast ausschließlich wissenschaftliche Vereinigungen. Und für übermorgen ist in Bonn eine Anhörung geplant.

Bis 1990 florierte die Gentechnik siebzehn Jahre lang in der Bundesrepublik ohne Gesetz. Als der Verwaltungsgerichtshof Kassel am 6.11.1989 im Genehmigungsverfahren um die Hoechster Insulinproduktionsanlage entschied, daß diese nicht auf Grundlage des Bundesimmissionsschutzgesetzes erfolgen könne, hatte es die Industrie plötzlich eilig. Entgegen ihrem vorhergehenden Sträuben wurde unter starkem Zeitdruck 1990 ein Gentechnikgesetz gestrickt. Als Zweck des Gesetzes wurde nicht nur der Schutz von Mensch, belebter Umwelt und Sachgütern vor den Gefahren der Gentechnik festgelegt. Vielmehr wurde gleichzeitig der rechtliche Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Gentechnik geschaffen. Damit soll es nun schon wieder vorbei sein.

Der Gesetzentwurf von Horst Seehofer sieht vor, daß künftig alle gentechnischen Anlagen gleich behandelt werden sollen – egal ob damit Forschungs- oder gewerbliche Zwecke verfolgt werden. Außerdem soll die bisher geltende Dreimonatsfrist vor Aufnahme der gentechnischen Arbeiten gestrichen werden. Damit werden die Einwirkungsmöglichkeiten der Behörden auf der Sicherheitsstufe 1 so abgesenkt, daß eine Risikovorsorge nicht angemessen gesichert ist. Zwar definiert sich die gentechnische Sicherheitsstufe 1 so, daß „nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist“. Aber manche der Einstufungen sind umstritten und vermutlich ungenügend.

Bedenklich ist auch die vorgesehene Streichung der Zweimonatsfrist bis zur Aufnahme von weiteren gentechnischen Arbeiten bei den höheren Sicherheitsstufen 2 bis 4. Damit wird eine Vorabbeurteilung durch die Behörden unmöglich gemacht und Vorsorge wird durch das Prinzip nachträglicher Schadensbegrenzung ersetzt.

In dem Gesetzentwurf wird außerdem die Fall-zu-Fall-Prüfung zugunsten einer Auflistung vermeintlich risikolos handhabbarer Organismen und gentechnischer Eingriffe aufgegeben. Die bisher vorgesehene Öffentlichkeitsbeteiligung bei Freisetzungen genmanipulierter Organismen und bei gentechnischen Anlagen ab der Sicherheitsstufe 2 soll aufgehoben werden. Die insgesamt über 10.000 Einwendungen gegen die vier diesjährigen Freisetzungsverfahren und die starke Beteiligung an den Anhörungsverfahren haben hingegen unter Beweis gestellt, wie auf diese Weise eine Fülle wertvoller Hinweise zur Erfassung der komplexen Risiken zusammengetragen werden kann.

Bundesgesundheitsminister Seehofer hat angekündigt, daß die Gesetzesnovelle EG-konform sein werde – eine Zusage, die viele KritikerInnen bezweifeln. Die EG- Kommission hatte nämlich bereits vor der Novelle die mangelhafte Umsetzung der EG-Richtlinien in das bundesdeutsche Recht moniert. Trotzdem stellte der Bundestag im November neue Forderungen, die eindeutig den EG-Richtlinien widersprechen. Gleichzeitig wurde die Bundesregierung gedrängt, bei der Kommission mit dem Ziel einer Absenkung der EG-Normen vorstellig zu werden. Für eine Harmonisierung des europäischen Arbeits- und Umweltschutzes wäre das kontraproduktiv und gefährlich. Immerhin tauchen in dem Seehofer-Entwurf die Forderungen der ParlamentarierInnen nach einer Aufhebung der Anmeldepflicht für Forschungsarbeiten der Sicherheitsstufe 1 und zum Teil sogar 2 nicht mehr auf.

Aber die Debatte um die angebliche Überbürokratisierung des Standorts Deutschland ist sowieso vordergründig. Nach Einschätzung von internationalen WissenschaftlerInnen gehören neun deutsche Hochschulen und außeruniversitäre Einrichtungen zu den 50 weltweit führenden Einrichtungen auf dem Gebiet der Molekularbiologie. Daß bundesdeutsche Konzerne Forschung und Produktion internationalisieren und marktnah weiterentwickeln, ist kein Spezifikum der Gentechnikbranche. Daraus ableiten zu wollen, daß der Standort Deutschland gefährdet sei, verkennt die Tatsachen: Produktionen in Deutschland laufen – trotz Genehmigung – nicht an, weil wie bei den Behringwerken in Marburg Patentstreitigkeiten die Produktionsaufnahme verbieten oder Produkte nach neueren Erkenntnissen nicht gewinnversprechend sind. Unberücksichtigt bleibt bei solchen Diskussionen auch, daß beispielsweise in den USA die Bayer-Tochter Miles Labs in Berkeley androhte, den Standort aufzugeben und die Produktion nach New Haven zu verlagern. In Berkeley hatte es erheblichen Widerstand gegen Erweiterungspläne und mangelnde Vorsorgemaßnahmen gegeben, weil sich die AnwohnerInnen wegen Erdbebengefahr und möglichen Gasexplosionen aus einer durch das Gelände führenden Pipeline sorgten. Auch im Ausland keimt also der Widerstand gegen ein unreguliertes Wachstum der Gentechbranche. Die Bundesregierung ist mit ihrem Novellierungsvorschlag ohne Not dem Drängen der Chemieindustrie nachgekommen, die wider besseres Wissen behauptet, in anderen Industrienationen gäbe es laschere Regelungen.

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