: Chile richtet seinen „Todesengel“
In Chile steht der Prozeß gegen Pinochets Geheimdienstchef Contreras vor dem Abschluß ■ Aus Santiago Astrid Prange
Manuel Contreras beharrt auf seinem ruhigem Gewissen. Der chilenische General gibt sich ganz und gar unschuldig. Von seinen „vielen einflußreichen Freunden“ läßt er sich noch heute als Gewinner des „subversiven Krieges gegen die Marxisten“ feiern.
In Wirklichkeit gibt es wohl kaum einen Menschen in Chile, der so viele Feinde hat. „Todesengel“ Contreras hat vermutlich mehr als 600 Menschenleben auf dem Gewissen. Als Chef der ehemaligen chilenischen Geheimpolizei „Dina“ (Direccion de inteligencia nacional) veranlaßte er Folterungen, Hinrichtungen und willkürliche Verhaftungen von politischen Gegnern der Militärdiktatur zwischen 1973 und 1989. Drei Jahre nach dem Ende des autoritären Regimes steht nun der Kommunistenjäger vor Gericht. Bei dem historischen Prozeß geht es um die Ermordung des ehemaligen chilenischen Außenministers Orlando Letelier und seiner Begleiterin Ronni Moffit am 21. September 1976 in der US-Hauptstadt Washington durch eine Bombenexplosion.
Selbstverständlich weist der General mit dem ruhigen Gewissen alle Vorwürfe zurück. Nicht die Dina, sondern der US-amerikanische Geheimdienst CIA sei für das Attentat verantwortlich. Die damalige Regierung in Washington sei aufgrund der Menschenrechtsverletzungen in Chile zunehmend von den „Liberalen“ unter Druck gesetzt worden. Die Amerikaner wollten so die Chilenen zu demokratischen Reformen zwingen.
Die etwas verworren anmutende These des Generals — schließlich unterstützten die USA den Staatsstreich Augusto Pinochets am 11. März 1973 — hat das Gericht allem Anschein nach nicht zu überzeugen vermocht. Es wird damit gerechnet, daß Vorsitzender Adolfo Banados vom Obersten Gerichtshof Chiles den General und seinen unmittelbaren Untergebenen, Feldwebel Pedro Espinoza, noch in dieser Woche für schuldig befinden wird.
Contreras und Espinoza sind die einzigen Kollaborateure der chilenischen Militärdiktatur, die bis jetzt für ihre Gewalttaten zur Verantwortung gezogen wurden. Die symbolträchtige Verurteilung ist jedoch nicht etwa das Ergebnis eines qualvollen Prozesses gründlicher Vergangenheitsbewältigung. Sie ist lediglich aufgrund des außerordentlichen Beharrungsvermögens von Anwältin Fabiola Letelier zustande gekommen.
Die Schwester des ermordeten chilenischen Außenministers kämpfte 14 Jahre lang gegen die Archivierung des Prozesses. Vor zwei Jahren errang die mittlerweile 62jährige schließlich ihr erstes Erfolgserlebnis: Auf Anordnung von Chiles Präsident Patricio Aylwin wurde die Akte Letelier, die sich zwölf Jahre in den Händen eines Militärgerichts befand, zur weiteren Bearbeitung an die zivile Justiz überwiesen.
„Die Ermordung Orlandos war kein Zufall, sondern genau geplant. Die Bombe hat den Schmerz zusätzlich vergrößert. Orlando starb erst 20 Minuten später, ohne Bein, in einer Blutlache“, erinnert sich Fabiola Letelier. Ihr Bruder war bereits damals ein Symbol für die Opposition gegen das Militärregime Pinochets. Die aktive Widerstandsarbeit im Washingtoner Exil veranlaßte die Machthaber in Santiago dazu, dem Außenminister der gestürzten Regierung Allende noch kurz vor seiner Ermordung die chilenische Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Fabiola Letelier hat sich seit dem Tod ihres damals 44jährigen Bruders in eine militante Menschenrechtlerin verwandelt. In ihrer Kanzlei im Zentrum von Santiago bearbeitet sie nicht nur den Fall ihres Bruders, sondern verteidigt außerdem seit Jahren politische Häftlinge und betreut eine Gruppe von Folteropfern. 1980 gründete sie das Comite de Defensa de los derechos del pueblo (Codepu), das Informationsbroschüren zum Thema Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur herausgibt.
Während der Recherchearbeiten zur jüngsten chilenischen Geschichte gingen in der Kanzlei von Fabiola Letelier 45.000 Denunziationen von verschwundenen Häftlingen, Folterungen sowie außergerichtlichen Hinrichtungen ein. 2.279 Todesopfer sind in der ersten, 1991 von der „Codepu“ herausgegebenen Informationsreihe namentlich erwähnt.
„Die Dina war wie die Gestapo. Sie hat ihre Politik der Extermination in der ganzen Welt betrieben, nicht nur in Chile“, weiß die Rechtsanwältin. Neben ihrem Bruder wurden von der „Dina“ auf zwei weitere berühmte chilenische Politiker im Exil Anschläge verübt: General Carlos Prats, Oberster Befehlshaber der chilenischen Streitkräfte während der Regierung Allendes, am 30. Oktober 1974 in Buenos Aires, sowie Bernardo Leighton, Gründer der christlich-demokratischen Partei Chiles, am 5. Oktober 1975 in Rom.
Leighton und seine Frau entkamen dem Attentat wie durch ein Wunder. Die Bombe wurde von dem US-Spezialisten Michael Townley gelegt. Der ehemalige „Dina“-Mitarbeiter, der im März von der italienischen Justiz zu 18 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hat bereits gestanden, zwei Jahre später in Washington ebenfalls den tödlichen Anschlag auf Orlando Letelier verübt zu haben.
Doch weder Townleys Schuldgeständnis noch die historischen Fakten vermochten General Manuel Contreras zu beeindrucken. „Ich glaube der Codepu kein Wort. Die Mitglieder der Kommission haben nur Leute befragt, die der Kommunistischen Partei treu sind. Und was machen inhaftierte Kommunisten und Marxisten als erstes nach ihrer Freilassung? Sie erklären sofort, daß sie gefoltert wurden“, beschwerte er sich in einem Interview mit der chilenischen Tageszeitung El Mercurio.
Contreras räumt zwar ein, daß der „subversive Krieg“ viele Tote gefordert hätte. Doch die chilenische Geheimpolizei habe weder Folterzentren noch geheime Friedhöfe mit Massengräbern unterhalten. Verschwundene habe es kaum gegeben – höchstens tausend. Und die „Dina“ habe mit all dem nichts zu tun. Contreras: „Ich habe niemals den Befehl zum Töten oder Foltern gegeben.“
Von Reue ist bei dem untersetzten General nichts zu spüren. Im Gegenteil. Angesichts des „Wiedererwachens des Marxismus“ in Chile sei eine „Dina“ heute wieder notwendig, findet er. „Die Dina hat den wirtschaftlichen Erfolg des Landes ermöglicht. Wenn wir den Terrorismus nicht eliminiert hätten, wäre Chile an seiner Entwicklung gehindert worden“, ist er überzeugt.
Doch die Welt um den chilenischen „Todesengel“ hat sich verändert. Die „vielen Freunde“, die sich angeblich danach drängen, seine Biographie zu schreiben, haben an Einfluß verloren. Contreras bleibt nichts anderes übrig, als sich dem Urteil in seiner Heimat zu beugen. Denn außerhalb der chilenischen Landesgrenzen wird er von der Interpol verfolgt. Nur die freundschaftlichen Verbindungen zu General Pinochet haben ihn bis jetzt vor der Auslieferung an die US-Justiz bewahrt.
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