: Überdosis
■ John Martyn mit Mannen im Lagerhaus
„Wann dem so was wohl einfällt?,“ fragte sich ein Typ neben mir, als auf der Bühne gerade um besonders schwermütigen Ausdruck gerungen wurde. „Frühmorgens wahrscheinlich.“
Ja, ja, als Freund fröhlicher Volksweisen gilt er nicht gerade, der John Martyn, eher als Garant für manchmal recht sperriges Liedgut, mit dem er seit nun mehr als 25 Jahren als der ewige Insider- Tip durch die Gegend tourt: Vom breiten Publikum so konsequent ignoriert wie von den „Experten“ hochgelobt. Eine Wende ist nicht in Sicht, auch in Bremen nicht, und das Lagerhaus, nach Schauburg und Modernes, ist auch nicht gerade der Aufstieg, mit Verlaub. Warum also lustig sein?
Nun wirkte natürlich nicht jeder Song wie dem Morgen-Grauen abgerungen. Als Frontmann eines gestandenen Rock-Quintetts machte John Martyn diesmal nämlich Dampf, und das nicht zu knapp: Einem relativ moderaten Blues zum Warmmachen folgten straighte Country-Rock-Passagen, in denen vor allem zwei Dinge auffielen: Die Lust Martyns, sich an der E-Gitarre in ausladenden, von Hall-Effekten beladenen Soli mit Wall-Of-Sound-Attitüde zu ergehen und die phantasielose Art, in der Jerry Underwood mit dem Tenorsaxophon die Pausen zwischen den Strophen füllte. Erst als er später ab und zu zum Soprano wechselte, fand er zu spannenden Dialogen mit der Gitarre.
Abgehangene, gebrochene Arrangements, kompetente Zuspieler, Martyns Stimme zwischen verhaltener Eindringlichkeit und mächtigem Ausbruch - es hatte was und wirkte doch an vielen Stellen überdosiert, mit dem berühmten Tick zu viel.
Beim Wechsel zur akustischen Gitarre, nach dem eingängigen „May You Never“, folgten einige jener undurchsichtigen, dunklen Balladen, in denen sich unvorbereitete Zuhörer so leicht verirren können. Mit der Zugabe fühlte man sich dann endgültig in längst vergangene Tage versetzt. Zu den fortwährenden Schwierigkeiten mit dem Sound und den Monitorboxen - irgendwann riß der Mixer, wohl resigniert, mitten im Song einfach den Regler bis zum Anschlag hoch - und den rührenden Versuchen, mit einigen bunten Scheinwerfern der Stimmung auch optisch nachzuhelfen, kam nun ein minutenlanges Duett zwischen E-Gitarre und Sax im tiefsten 70er Jahre Jazzrock-Gestus. Von der Kunst der Beschränkung, die in vielen Liedern Martyns deutich wird, war an diesem Abend nichts zu spüren. Rainer Köster
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