: Noch ein Abschied von der DDR
■ Mit Klaus Michael sprach Friederike Freier über den Ausgang der Machtspiele am Prenzlauer Berg
Als das Druckhaus Galrev im letzten Jahr durch die Stasi-Verwicklungen von Rainer Schedlinski in die Schlagzeilen geriet, hatte Klaus Michael, damals noch Geschäftsführer des Verlags, darauf gedrängt, die Debatte nicht den Feuilletons zu überlassen. Mit einem eigenen Band sollte sich der Verlag in die Diskussion um seine kompromittierten Autoren einmischen. Nun liegt die damals geplante Anthologie endlich vor, allerdings nicht bei Galrev: Die Bilanz der „MachtSpiele“ des DDR- Untergrunds ist soeben bei Reclam Leipzig erschienen. jl
taz: Die Szene im Prenzlauer Berg war unabhängig von staatlichen Strukturen, aber nicht außerhalb der Reichweite der Staatsorgane. Wie autonom habt ihr gearbeitet?
Klaus Michael: Ich glaube nicht, daß der Prenzlauer Berg autonom war. In manchen Bereichen war er einfach unabhängig, weil er außerhalb der Strukturen stand. Generell kann man das so sagen: Er war so unabhängig, wie die einzelnen Autoren und Maler sich verhalten haben. Wenn Maler nicht ausstellen dürfen, dann ist es ganz klar, daß diejenigen, die davon betroffen sind, andere Möglichkeiten suchen. Und das Interessante war ja, daß das damals parallel lief mit dem Beginn der Friedensbewegung, der Menschenrechtsbewegung in der DDR. Teilweise gab es auch personelle Vernetzungen zwischen Literaten und Oppositionellen, die man auch auf Biermann, auf Havemann zurückführen konnte. Das ist eine Geschichte gewesen, die es in Deutschland nur in den zwanziger Jahren oder während des Ersten Weltkrieges, zu den Zeiten des politischen Expressionismus oder Dadaismus gab – eine Vernetzung von ästhetischer Revolte und Oppositionskultur.
Aber zwischen der politischen Opposition und dem Prenzlauer Berg gab es doch erhebliche Differenzen!
Das Tragische an der Entwicklung war, daß ein wesentlicher Teil dieser Literatur entpolitisiert und in Widerspruch zu dieser ganzen Oppositionsbewegung gebracht wurde.
Hat da die Staatssicherheit via Sascha Anderson hineinregiert, die Entpolitisierung befördert?
Die Aufgabe der Staatssicherheit war, daß sie solche Gruppenbewegungen verhindert, oder, wenn das nicht zu verhindern ist, durch eigene Leute unter Kontrolle kriegt. Eine zweite Aufgabe war die Entpolitisierung. Das setzte ein, als die verschiedenen Gruppen sich auch oppositionell betätigten. Die Autoren haben ja auch die verschiedensten Resolutionen und Appelle mitunterzeichnet, an Breschnew, an Honecker, an die KSZE. Und das hört dann auf. 1984 ist diese Gemeinsamkeit vorbei. Den Endpunkt setzt der Versuch der unabhängigen Autoren, einen eigenen Autorenverband zu gründen. Das war im Frühjahr 1984, als aus allen Teilen der DDR Maler und Autoren, die nicht publizieren durften, in Berlin zusammengekommen waren und eine Woche lang eine Veranstaltungs- und Diskussionsreihe hatten. Die nannte sich „Zersammlung“. Man wollte sich austauschen, einen Zusammenhang herstellen zwischen den einzelnen Leuten, Druck machen auf die Verlage und einen Ausschuß gründen, der öffentlich wirksam wird. Die Arbeit dieses Ausschusses wurde von vornherein lahmgelegt, indem die eine Fraktion der Autoren, die sich politisch engagierten, gegen die andere ausgespielt wurde. Und da gab es bestimmte Konzeptionen der Staatssicherheit, die über solche Leute wie Sascha Anderson wirksam wurden.
Gibt es Dienstanweisungen des MfS, die das belegen?
Es gab generelle Dienstanweisungen nach der Biermann-Affäre, die belegen: Verhinderung einer inneren Opposition, Verhindern von Gruppenbildung, Entpolitisierung, verhindern, daß sich Leute in der DDR mit denen im Westen zusammenschließen. Und dann gab es wieder eine ganz große Dienstanweisung zum Umgang mit der Opposition oder dem „politischen Untergrund“ von 1985. Da spielt die Literatur schon keine Rolle mehr für die Staatssicherheit. Der Prenzlauer Berg ist schon so weit entpolitisiert, daß er in den Augen der Staatssicherheit ungefährlich geworden ist.
Jan Faktor spricht davon, daß die Stasi den Prenzlauer Berg geschont hat, quasi zum Ausgleich für Andersons Berichte und dafür, daß er in ihrem Sinn aktiv wurde. Unterstützt du diese These?
Das Dilemma der Stasi bestand darin, daß sie nicht strafrechtlich eingreifen konnte. Wenn jemand genausoviel Aktivitäten wie Sascha Anderson entfaltete, konnte die Stasi dort nicht zugreifen, weil der ja sagen konnte, wissen Sie, Anderson und der und jener machen das genauso. Auf diese Weise hat die Stasi unfreiwillig Grauzonen entwickelt.
Man darf das alles auch nicht nur von innen heraus betrachten. Spätestens 1985, nach Gorbatschow, kam die Stasi auch in Existenznöte, weil sie nicht mehr wußte, wo eigentlich der Feind stand – im Westen oder im Osten. Zwischen diesen beiden Blöcken war es für die Stasi auch gar nicht mehr so einfach, die Literatur als feindlich zu betrachten, weil sie nicht mehr wußte, ob ihr Vorgehen auch abgedeckt war. Denn von „oben“, von Zentralkomitee und Politbüro, kamen nur noch sehr wenige Direktiven.
Du hast bis zum Frühjahr 92 im Druckhaus Galrev gearbeitet. Dort sollte „MachtSpiele“ ursprünglich erscheinen, in dem Verlag nämlich, den Sascha Anderson und Rainer Schedlinski mitgegründet haben. Peter Böthig und du, ihr habt das Buch dann doch bei einem anderen Verlag herausgegeben. Warum?
(Lacht) Das fragen sie mich jetzt alle. Wahrscheinlich fragen sich das jetzt auch die Leute vom Druckhaus Galrev.
Diesen Band habe ich Rainer Schedlinski zu verdanken. Als am 6. Januar 1992 in dieser ARD- „Kontraste“-Sendung seine Verpflichtungserklärung gezeigt wurde, da wußte ich: Darauf muß man antworten – als jemand, der bei Galrev arbeitet, als jemand, der mit dem Prenzlauer Berg verbunden ist. Ich habe dann einen Vorschlag gemacht, der auch bei der Autorenkonferenz bei Galrev im Januar 92 angenommen wurde, daß wir einen Diskussionsband machen. Leider ist das im Laufe der Monate sehr an den Rand gedrängt worden, aus zwei Gründen: Zum einen hatte noch niemand aus diesem ganzen Autorenkreis seine Akten gesehen. Zum anderen ist dann die Diskussion im Feuilleton in sich zusammengefallen. Die Stasi-Geschichte schien vorbei zu sein.
Aber es erschienen doch ein halbes Jahr lang Beiträge im Feuilleton...
Galrev dachte aber trotzdem, daß man ohne Diskussion durch diese ganze Geschichte durchkommt, daß es besser wäre, daß man sich als Verlag nicht darum kümmert, weil man es eigentlich nicht so genau wissen wollte. Die Meinung im Verlag war, daß es besser wäre, mit Anderson weiterzusteuern als nachzuschauen, was er eigentlich gemacht hat. Und das war eine Haltung, der ich mich nicht beugen wollte. Ich bin aus dem Verlag ausgetreten, weil das Buch in meiner Abwesenheit aus dem Verlagsprogramm gestrichen worden ist.
Elke Erb bezieht sich in ihrem Beitrag auf ihre Zusammenarbeit mit Anderson und schreibt, sie habe sich ihre Stasi-Akten noch gar nicht angesehen, sie wolle ihrem eigenen Gedächtnis mehr trauen als dem, was in den Akten steht. Auch nach dem Motto: Ich will's nicht wissen.
Anderson ist ja trotz allem noch ein Dichter. Das Bild, das man von Anderson hatte, als einem der aktivsten Leute in der Szene, ist bei einigen noch so stark, daß sie diese Kehrseite der Medaille nicht zur Kenntnis nehmen wollten. Man braucht Zeit, um das auch zu verstehen, was man sieht. Elke Erb zum Beispiel hat sehr intensiv mit Sascha Anderson zusammengearbeitet. Wenn man sie jetzt fragen würde, würde sie ganz anders denken. Es gibt nicht nur ein Recht auf Irrtum, sondern auch ein Recht darauf, daß man sich Zeit läßt, seine Irrtümer auszuräumen.
Bei Anderson ist es sehr leicht gewesen, sich zu irren. Er hat einfach viele Identifikationsangebote gemacht, hat immer wieder gesagt, ich war es nicht. Er hat jedem gesagt, was er hören wollte.
Eine Reihe von Autoren beschreibt in „MachtSpiele“ Andersons autoritäre Rolle. Und das sind genau die, die ihn schon vor seiner Enttarnung angegriffen haben, Leonhard Lorek etwa oder Jan Faktor. Sonst ist er bis zu Biermanns Büchnerpreis-Rede seltsam unangetastet geblieben. Wie kam Anderson zu dieser Rolle?
In einer Situation, in der es keine Öffentlichkeit gibt, sind Informationen das Wichtigste. Anderson hatte Informationen, Verbindungen in den Westen, zu den Verlagen. Er hatte die unter anderem auch, weil er bestimmte Wege der Staatssicherheit nutzen konnte, Diplomatenkanäle, die die Staatssicherheit ihm vermittelte beziehungsweise duldete, daß er sie nutzte. Und er hatte Geld, durch so einen Ost-West-Kunstdeal. Und durch die Staatssicherheit – das muß man heute annehmen.
Im Gegensatz zu vielen anderen, die auch sehr aktiv waren in der Kunstszene, wurden seine Aktionen toleriert. Indem die Staatssicherheit dann auch mit ihm absprach, es ist wichtig, Herr Anderson, daß Sie das machen, weil Sie unser Mann sind, werden Sie weiter aktiv. Solche Strukturen finden sich auch bei Rainer Schedlinski, den die Staatssicherheit auch ermuntert hat: Herr Schedlinski, Sie müssen aktiver werden, eine Führungsrolle zu übernehmen. Schreiben Sie noch zwei, drei theoretische Essays. Lassen Sie das mit den Gedichten sein, werden Sie konzeptionell tätig.
Warum ist Anderson denn nicht schon früher angegriffen worden auch in der Auseinandersetzung mit älteren Autoren wie etwa Volker Braun, Elke Erb, Adolf Endler? Die hatten ja einen gewissen Abstand und hätten die hierarchischen Strukturen in der Szene leichter bemerken können.
Na ja, Andersons autoritäre Rolle wurde nicht von allen ernstgenommen. Es gab ja auch Leute, die einfach über ihn gegrinst haben und sich an den Kopf gefaßt, was der so sagte.
Die Verbindung zwischen der Prenzlauer-Berg-Generation und den älteren Autoren war viel enger, als man das im nachhinein sieht. Die Älteren haben einzelne Leute sehr stark unterstützt, literarisch, finanziell, mit Lesungen, mit Verbindungen. Die vorhergehende Generation hatte ein elementares Interesse, daß die junge Dichtergeneration ihren Weg außerhalb der Strukturen findet. Das war so eine Art Projektion, daß diese Generation das machen konnte und sollte, wozu Schriftsteller der Volker-Braun-Generation nicht fähig waren. Nämlich rauszugehen, zu sagen, wir machen einen Schnitt, wir kümmern uns nicht mehr um diesen ganzen alltäglichen politischen Hickhack. Die Entpolitisierung war natürlich auch ein Freiraum.
Die Autoren – wie auch die Maler, Fotografen und Musiker – haben also nachgeholt, was jemand wie Christa Wolf wegen ihrer gedanklichen Bindung an diesen Staat nicht leisten konnte oder wollte?
Ja. Was der Prenzlauer Berg geleistet hat, ist, alle ästhetischen Traditionen aufzunehmen, die es in Deutschland im 20. Jahrhundert gab, zu vereinen und auszuprobieren, was dabei herauskommt, zu experimentieren auf eine sehr freie Art. Im nachhinein muß man natürlich sehen, was daraus geworden ist, ob das qualitativ gut ist oder nicht. Wichtig ist, daß da so ein kommunikativer Gesamttext entstand, aus dem jetzt die einzelnen Werke genommen werden müssen. Jetzt muß gefragt werden, ob das einzelne Gedicht, das einzelne Buch standhält. Das ist eine Arbeit, die noch zu leisten ist.
Ich denke, das war wie ein eruptiver Aufbruch. Und es war ein Aufbruch einer Lebensweise. Hier war ein Ort, der mit dem Staat nur noch verbunden war durch IM. Man kann sagen, der Prenzlauer Berg war so etwas wie ein Abschied von der DDR.
Soeben erschienen: Peter Böthig, Klaus Michael (Hg.): „MachtSpiele – Literatur und Staatssicherheit“. Reclam Leipzig, 336 Seiten, 22 DM.
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