piwik no script img

Pest und Bilsenkraut

Vom Schein des Sterbens unklar ausgeleuchtet: Deutscher Gothic und Dark Wave geht still und heimlich in die zweite Generation. Nachrichten über das Leben, den Tod und seine neueren Propheten  ■ Von Anke Westphal

Gothic und Dark Wave in Deutschland: Wer sich heutzutage in deren bedeutungslastige Melancholie hineinbegeben will und dabei immer noch dauerdepressive Kids im Auge hat, die wie Muppet- Mephistos nächtens auf Gräbern sitzen, macht sich zum Pop-Trottel. Nekrophiler Spaß ist nicht alles. Nach ihrer schlagzeilenreichen Geburt im Schlepptau angloamerikanischer Subkulturen (es geschah etwa zu Beginn der Achtziger), befindet sich die deutsche Gothic- Szene längst in einer zweiten, befriedeten Generation. Sie stilisiert sich vor dem soziokulturellen Hintergrund, den die erste geschaffen hat, erschafft sich aber auch immer wieder neu – ein Endlos-Phönix aus der Asche mit einem Strahlenkranz eigener, sich exklusiv verstehender Clubs, Plattenläden, Fanzines (Gothic Press, Hysterika, Glasnost, Gift und Cruciamentum sind nur die bekanntesten davon) und Festivals.

Wenn man sich als sogenannter Normalo in Berlin je auf die „Insel“ oder in den „Life Club“, in die Kölner „Ruine“, den Bochumer „Zwischenfall“ oder auf die alle zwei Monate ebenfalls im Raum Köln abgehaltene Dion-Fortune- Party verirrt, sieht man sich jedenfalls einer Szene gegenüber, die vollkommen „corporate“ ist: für Außenstehende unzugänglicher als ein Mikrokosmos von Autisten. Das hat, wie alles scheinbar Alberne, komplizierte Gründe.

Splendid Isolation

Nach Angaben Bruno Kramms von der Band „Das Ich“, mit rund 250.000 verkauften Platten neben „Goethes Erben“ einer der Erfolgsacts der Szene, leben derzeit etwa 5.000 Hardcore-Grufties in Deutschland. „Hardcore-Gruftie“ meint anschaulich vereinfachend diejenigen, die tatsächlich kalkweiß geschminkt, mit dick kajalumrandeten Augen und toupiertem Haupthaar in Pikes, extrem spitzen, oft glöckchenbewehrten Schuhen und dramatischen Fledermausumhängen als „zugehörig“ erkennbar sind – und so auch erkannt werden wollen. Nicht eingerechnet sind dabei die sich äußerlich weniger exponierenden, wie alle Welt schlicht schwarzgewandeten Anhänger von Gothic und Dark Wave, deren Zahl nicht annähernd zu schätzen ist. Die Szene boomt, nahezu unbemerkt, ebenso stark, wie sie von der Overculture inklusive ihrer Presse ignoriert, geächtet oder lächerlich gemacht wird. Parallel dazu häufen sich die Überfälle Rechtsradikaler auf Kids, die vermeintlich als „Grufties“ erkannt wurden (die Clubs werden mittlerweile durch Alarmketten gesichert).

Gegen all das, vor allem aber gegen den Stumpfsinn der gefürchteten Normalität, soll Isolation schützen – so gut wie eben möglich. Denn die nahezu absolute Ächtung durch die Mitwelt erzeugt über den Mechanismus der Ausgrenzung auch die dazugehörige Selbstausgrenzung – ein selbstverliebtes Elite-Feeling. „Kein normaler Mensch hört eben Goethes Erben“, so ein Bayreuther Gothic stolz. Die Kids wollen (und haben) ihre durch Paraphrasen wie „neudeutsche Todeskünstler“ journalistisch überhöhten Bands für sich „allein“.

Das eint – auch im Konsum. Die Platten-Verkaufszahlen des zentralen, deutsch-textenden Gothic- Megacults „Goethes Erben“ oder der eher peripher dem anglisierenden Dark Wave zuzuschlagenden, im Pop-Crossover balancierenden „Deine Lakaien“ ließen noch jeden gehobeneren Indie-Star erblassen. Die einschlägigen Sampler der Label Danse Macabre, Hyperium, Dion Fortune, die vier „German Mystic Sampler“ des Fanzines Zillo werden auf dem Weg vom Preßwerk zu den Käufern kaum kalt.

Vom Purismus zum Crossover

Deine Lakeien und Goethes Erben: allein mit Erwähnung dieser beiden Bands – die im übrigen jede Gemeinsamkeit verneinen würden – sind schon alle tausend Gretchenfragen kindermündlich ausgeplappert: Was ist, Himmelhergott und Teufelnochmal, „Gothic“ oder auch „Dark Wave“ denn nun genau; worin unterscheiden sie sich, und warum sind sie ausgerechnet unter Leuten zwischen elf und – sagen wir mal – zweiundzwanzig so unglaublich beliebt?

Es gehört zu den seltsameren Phänomenen der Szene, daß die begriffliche Schublade für inzwischen unterschiedlichste Musikstile und Band-Selbstverständnisse vor allem am Outfit ihrer Anhänger festgemacht wurde; daß aber umgekehrt die wenigsten Bands mit dem – natürlich auch inszenierten – Grübeltrübsinn ihrer Jünger identifiziert werden wollen. Die eigentlichen deutschen (eben auch deutsch-sprachigen) Gothic- Bands lassen sich, platt am sprachlichen Dunkelheitsgrad gemessen, an nicht mal fünf Fingern abzählen. Kult gibt es vor allem um Goethes Erben, Das Ich und Relatives Menschsein. Musikalisch gesehen ist – und jetzt müssen wir sagen „sogenannter“ – neuerer deutscher Gothic/ Dark Wave das beste Beispiel einer Szene, die im Laufe der Jahre vom Purismus zum Crossover-Prinzip mutiert ist. Beginnend bei den voluminösen Soundtracks und Cover-Versionen von Printed at Bismarck's Death über den gesamtkonzeptionellen Kunstanspruch der Newcomer Operating Strategies (wunderschön: „The Difficulty Of Being“) hin zur Vokal-Avantgarde von Christian Wolz oder dem anders ausgelegten Vorreitertum der Electronic Body Music-Band Calva y Nada, vom Cosmic Techno von Liederkranz über den zahlenmagischen Synthie-Sound der Garden of Delight bis zu den Eldritch-Nachfolgern um Still Patent kann so ziemlich alles ins schwarze, vielleicht gar samtausgeschlagene Kästchen fallen – wenn es denn dem kleinsten gemeinsamen Stimmungs-und-Verkaufs-Nenner dient.

Kaum eine andere Szene weist eine derartig enge Label-Bindung auf: Was bei Danse Macabre, Class X/ Gymnastic Records, Dark Star, Dark Vinyl, Dion Fortune, Spirit und Hyperium erscheint, kommt mit Sicherheit nirgendwo anders. Es ist „nicht kommerziell radiofähig“ (so Herr Galenza vom ORB), nicht fit for life und soll es auch nicht sein. Und abgesehen davon: in welcher Szene wird vergleichbar viel Taschengeld für Bootlegs, Importe und Limited Editions ausgegeben? Bands wie Das Ich, die gern mal ironischer wären – und auf der im Juni erscheinenden Scheibe den generell immer einflußreicheren Industrial bevorzugen –, laborieren am Zwang zu jener humorlosen Enrsthaftigkeit, den Oswald Henke von Goethes Erben aus sehr ehrenwerten, gänzlich unpopulären Gründen als künstlerisches Credo umsetzt, ja lebt. Im Zeitalter launiger Effizienz, angesichts des Kults um ewige Jugend und Schönheit möchte nicht nur er Einhalt gebieten und – quasi als heutiges Momento Mori – an die Tabus Vergänglichkeit und Tod rühren.

Das, sowie die partielle Nähe einiger Grufties zum Okkulten (innerhalb allgemeiner Orientierungslosigkeit), allein als Rückzug aufs unerklärliche Allgeheimnis zu deuten wäre ein todtrauriges Klischee. Um ein ebensolches handelt es sich bei der Ultra-Gruft-Platitüde von der präsuizidalen Psycho- Konditionierung, die doch immer mal wieder die Leserbriefseiten des Fanzines Zillo füllt. Das Spiel ist ein Spiel ist ein Spiel – von den Zelebrierenden eine Zeitlang durchaus ernst gemeint, aber doch durch Regelwerk und Insignien starr kodifiziert. Der reale Tod wäre ein Schritt zu weit ab vom Ästhetischen.

Mein Freund, der Baum

Die Insignien sind hinlänglich bekannt, weil über Jahre hinweg mit sensationistischem Gestus in Illustrierten abgebildet. Weiter gelangt man mit einem anderen Ansatz: Dark Wave und Gothic stellen ihre Zuhörer (neben den, wenn auch schlicht anmutenden, sicht- wie hörbaren Bezügen zu Geschichte und Religion) in einen sehr umfassenden, in der Technokratie verloren geglaubten Zusammenhang – den der Natur. Und sie tun dies gerade durch die Verbindung mit Techno: indem sie einzele Elemente der cold world of steel einmontieren. Man spricht nicht ausdrücklich von „Romantik“ – warum auch? –, sampelt jedoch noch im entlegensten Dark Crossover, wenn es denn so genannt werden darf, Wind, Blätterrauschen und das Zirpen von Grillen (so zum Beispiel Liederkranz und Calva y Nada) oder widmet sich, wie Dark Orange auf ihrer 91er LP „Oleander“, gleich pauschal der „magic mother nature“.Calva y Nada vertonen subversiv-ironisch die „Monologe eines Baumes“.

Wille zur Metapher

Daß der scheinbar politikleere Raum gar keiner ist, merkt man aber nicht erst bei Goethes Erben jüngster Maxi „Die Brut“ – deren Cover ihnen jene dummen „Nazi“- Vorwürfe eintrug, die schlampige Blicke und fehlende Reflexion zu schnell bei der Hand haben. Mythologiebezogenheit ist nicht automatisch Faschismus, und Fotos grüßender Hitler-Jungen prinzipiell vom Olymp der political correctness herab zu verdammen ist gar zu einfältig (Bild ist nie kongruent mit Bedeutung – offenbar muß das immer wiedergekaut werden). Nein, es ist ganz anders: Gothics sind vielleicht die am wenigsten aggressiven Leute.

Die hohe Akzeptanz beim jungen Publikum liegt, abgesehen vom interessant Geheimlogenhaf-

Fortsetzung Seite 16

Fortsetzung von Seite 15

ten der Fraktion, andererseits wohl darin begründet, daß gerade deutsche Lyrics in ihrem Willen zur Metapher, in gewollt archaisierender Sprache („Frevel“, „Satan“, „gift'ge Saat“ etc. pp.) und Musik so schön plakativ rüberkommen. Starke Gefühle wohnen in den fast ausschließlich dem Mittelalter, dem Barock, der Romantik oder dem Fin de siècle entlehnten Symbolismen. Außerdem ist das für einen Fünfzehnjährigen, auch wenn er noch nie etwas vom Augsburger Tabulaturbuch, von Gryphius, Novalis oder Baudelaire gehört hat, emotional wie äußerlich (im dekorativen Dandyismus religiösen Beiwerks – mit Kreuz, Rüschenhemd, Totenschädel und Weltkugel) leicht umzusetzen. Unter Sterben, Tod, Vergänglichkeit, Sünde und Teufel (nicht etwa Gott), den großen weltumspannenden Gefühlen und Gedanken geht es jedenfalls selten ab. Es ist für unsereinen schon ein bißchen lustig, wenn Siebzehn- bis Zwanzigjährige heutzutage über „verbotene Triebe“ oder „LiebesWUT“ singen, besser: rezitieren, wobei die R's nur so rollen.

Mit dem Älterwerden und der sozialen Integration in Job oder Uni, die mindestens Tarnung, wenn nicht Anpassung erzwingt, besteht die Welt dann – statt aus globalen Kategorien – mehr und mehr aus einem verschleißenden Alltag voller existentieller Kleinigkeiten. Da bleiben Kreuz, Pikes und Pathos gern auf der Strecke, driftet man zum viel cooleren Industrial. Jedenfalls suggeriert das Angebot der einschlägigen Plattenläden diesen sanften Übergang.

Durch sieben Tore mußt du geh'n ...

Viele Bands stoßen sich inzwischen an der Gothic-Inszenierung ihrer Anhänger – und operieren doch im klassischen Double-Bind mit den entsprechenden Signifikaten. Das Ganze hat etwas vom Zauberlehrling, der nun ein ganz anderer Meister ist (sein möchte?), die gerufenen Geister aber nicht mehr los wird, werden will, beziehungsweise darf. Nicht ungestraft taufte man sich Relatives Menschsein, Cancer Barrack, Dark Orange, Lacrimosa, The Eternal Afflict oder Umbra et Imago, nicht zufällig gibt man sich als perfekter „expressionistischer Clown“ (so Stefan Ackermann von Das Ich über sich) oder schöne Allegoria der Melancholia wie Susann Heinrich von Love Is Colder Than Death. Garden of Delight stilisieren sich gar so weit, daß sie, angelehnt an den Kult der Sumerer von den Sieben Toren, die auf dem Weg zur Vollkommenheit durchschritten werden müssen, in diesen Jahren sieben Alben mit je sieben Stücken produzieren wollen.

Auf die Dauer ist diese einsam sein wollende Erhabenheit natürlich nicht nur anstrengend, sondern als permanentes Extrem nicht mehr zu steigern – als vielleicht doch ihre eigene Schlußpose. Diese Überfülle an Sehnsucht – welchen „Tod wird sie lächeln sehen“ (Oswald Henke)?

Und doch: „Es wird / schon weitergehen“ (Das Ich).

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen