piwik no script img

Wem ist mit solchem Unfug geholfen?

■ betr.: "Haß auf 'Moffen' ist schon Tradition", taz vom 5.4.93

betr.: „Haß auf ,Moffen‘ ist schon Tradition“, taz vom 5.4.93

[...] Bisher gibt es keine einzige wissenschaftliche Untersuchung über das niederländisch-deutsche Verhältnis, die diesen Namen auch verdient. [...]

Sicher gibt es eine Reihe von Irritationen. Daß zum Beispiel niederländischen Intellektuellen nichts Besseres einfällt, als 1993 zur Bücherwoche die (selbst in einschlägigen Kreisen als solche gehandelte) Pennäler-Novelle eines W. F.Hermans zur x-ten (Nicht-)Bewältigung der Besetzung 1940-1945 zu verteilen, spricht auch Bände. Vielen Leuten fällt eben nichts anderes ein, als das Verhältnis zu den östlichen Nachbarn zu thematisieren. Komplizierte Beziehungskisten, aktuelle Autoritätskonflikte oder Identitätskrisen des Menschen von heute, gibt es die in der hiesigen Gegenwartsliteratur etwa nicht, oder gibt es sie in dieser Gesellschaft nicht? [...]

Untersuchungen über die Deutschen und die Niederländer kann es übrigens im wissenschaftlichen Sinn überhaupt nicht geben, weil es diese beiden Kategorien überhaupt nicht gibt und, wenn überhaupt, die Gemeinsamkeiten bei weitem überwiegen und immer größer werden. Was wissenschaftlich natürlich möglich ist, wäre zum Beispiel der Nachweis, daß es auf dem kleineren Territorium der Niederlande mehr „deutsche“ Gartenzwerge gibt als auf dem Gebiet des vereinigten Deutschland. Aber auch hier gilt: Wem ist mit solchem Unfug geholfen?

Auf die Frage: Sind Sie Engländer?, antwortete der große Clown Grock: Nee, Radfahrer. Wie wäre es mit: Welchen Paß haben Sie? Und in Zukunft haben wir dann nur den europäischen. Und den schiebt man Gott sei Dank nicht wie ein Autokennzeichen vor sich her, angesichts dessen jeder schon von weitem seine Adrenalinproduktion aktivieren kann. [...]

Damit kein falscher Eindruck entsteht. Wir wollen und müssen mit der Geschichte leben. Verstehen, Vergeben, Verzeihen darf nie Vergessen bedeuten. Aber es ist schon ein wenig verwerflich, einer Jugend das schlechte Gewissen der Väter vorzuhalten, wenn sie auf dem friedlichen Weg nach Europa ist. Ist es nicht merkwürdig, wenn man jetzt qua Enquête publiziert, die deutsche Jugend sei kriegslüstern, wo noch vor kurzem während des sogenannten Golfkrieges in angelsächsischen und auch in niederländischen Medien die Deutschen als Feiglinge, Angsthasen und Drückeberger bezeichnet wurden. Es wird sich zeigen, ob das zukünftige militärische Engagement Deutschlands auf Gegenliebe stößt. Wer diese Informationen hat, der weiß auch, daß eine „Untersuchung“ im direkten Anschluß an Rostock, Mölln und Hoyerswerda situationsbedingt Schwerpunkte setzt, und urteilt differenziert. Auf dem Gebiet der objektiven Information liegt eine wesentliche Aufgabe der Schule. Vielleicht sollte man in Clingendael schon prophylaktisch das „Deutschlandbild“ niederländischer (Geschichts-)Lehrer erforschen.

Jede Enquête, ganz gleich wie gut oder wie schlecht sie ist, zeigt, daß mangelnde Kenntnis oder falsche Information zu Vorurteilen führen. Onbekend maakt onbemind. Wenn also jemand der Meinung ist, er wisse nicht genug über Deutschland, so können wir nur Abhilfe schaffen, wenn wir mehr Informationshilfen bereitstellen. Die Schließung der Bibliothek des Goethe-Instituts ist dafür allerdings eher ein ungeeignetes Mittel. [...] Geschieht auf diesem Sektor nichts, so bleibt die Vision eines ideellen Zusammenwachsens (selbstverständlich unter Beibehaltung und Förderung der regionalen kulturellen Vielfalt) eben ein Lippenbekenntnis. Europa würde bestenfalls bleiben, was es jetzt schon ist, eine Wirtschaftsgemeinschaft, in der Albert Heijn und Tengelmann ein größeres Interesse am friedlichen Zusammenleben und gegenseitiger Toleranz haben als Vondel und Goethe. H. Mundschau, Amsterdam/NL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen