: NOlympisches Feuer im Berliner Regen
■ Rund 10.000 Teilnehmer auf Anti-Olympia-Demo / Bis zur Abschlußkundgebung weitgehend friedlicher Verlauf
Mitte. Schon anderthalb Stunden vor Demonstrationsbeginn sammeln die eigentlichen Kontrahenten ihre Mannen. Am Checkpoint Charlie sind die ersten Transparente gegen Olympia 2000 zu sehen, die Megaphone werden erprobt und für tauglich gefunden. Aus allen Seitenstraßen rollen die Mannschaftswagen der Polizei heran. Berlin-Mitte präsentiert sich grün-weiß statt dottergelb, der Farbe des Olympiabärchens. Während die IOC-Oberen zur gleichen Zeit die Sportstätten in Rostock besichtigen, bildet die Polizei kurz vor 3 Uhr Absperrungen, durchsucht jeden, der dem Klischee eines autonomen Straßenkämpfers entspricht. Reisebusse bleiben in den Seitenstraßen stehen, eifrig werden die Kameras gezückt – Berlin, wie es sich der Provinzler vorstellt.
Grau ist der Himmel an diesem Sonntag nachmittag in Berlin, an dem die Berliner Anti-Olympia- Koordination zu ihrer Großdemonstration aufgerufen hat, überwiegend jedoch schwarz das Fußvolk. Fast ein wenig verloren nehmen sich die Anhänger der PDS aus – darunter einige Rentner – hinter ihrem roten Transparent. Ihr Slogan „Olympia 2000 ... so nicht mit uns“ entspricht genau dem Spagat, den die SED-Nachfolger zum Thema Olympia üben, dafür und zugleich dagegen zu sein.
Als der Zug der rund 10.000 Teilnehmer – die Polizei schätzt die Zahl auf 8.000 – sich kurz nach 3 Uhr am Checkpoint Charlie, dem ehemaligen alliierten Kontrollpunkt in Berlins Mitte, in Bewegung setzt, entzünden junge Männer mit einem brennenden Mercedes-Stern symbolisch ein olympischen Feuer in einem Wäschebottich. Die Menge jubelt, der Ascheregen rieselt herab, die Luft riecht nach Benzin. Bis dahin ist die Szenerie friedlich, ausgelassen – ganz so, wie es sich die Organisatoren Tage zuvor gewünscht hatten. Doch schon in der Leipziger Straße, vorbei an den Hochhäusern, tauchen die ersten Hundertschaften mit Schlagstock und Schild auf und begleiten fortan den Demonstrationszug – 4.500 Beamte hat die Berliner Polizei für den Besuch der IOC-Visite aufgeboten.
Um 4 fällt der erste Regen, und die ersten im endlosen Block ziehen sich ihre schwarzen Kapuzen auf. Manche tragen Sonnenbrillen und üben eine neue Art der Vermummung. Ein halbe Stunde später hat die Ruhe ein Ende. In der Breiten Straße, dem Sitz der Olympia GmbH, zischen die ersten Leuchtspurgeschosse aus der Menge heraus. Zum ersten Mal schwingen die Männer und Frauen in Grün den Schlagstock. Steine, Dosen fliegen zurück – als Antwort werden zwei Rauchbomben abgeschossen. Von einem Schlagstock getroffen wird auch Judith Demba, sportpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne und eine der Organisatorinnen des Protestes. Mit Rufen wie „Aufhören, aufhören“ versucht sie, mäßigend einzuwirken. Es gelingt. Zumindest bis zum Redaktionsschluß. Severin Weiland
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