: Keine "befriedeten Zonen" in Somalia
■ Am Mittwoch will das Kabinett über die Entsendung deutscher Soldaten in den afrikanischen Staat entscheiden / Die Realität steht Bonner Wunschvorstellungen und Vorbedingungen entgegen
Bonn (taz/dpa/AFP) – Wenn der Kanzler abgespeckt hat, wird entschieden: Am Mittwoch wird sich das Kabinett auf der ersten Sitzung nach Kohls Rückkehr aus der österlichen Fastenkur mit der beabsichtigten Entsendung von Bundeswehrsoldaten zum UN-Einsatz nach Somalia beschäftigen. Rechtliche Bedenken gegen diesen Einsatz sind bisher in der Koalition noch nicht ausgeräumt worden.
Nach Einschätzung des FDP- Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Hermann Otto Solms, sind die jüngsten Anforderungen der UNO „im Charakter anders“ als jene, die das Kabinett im Dezember gebilligt hatte. Im Innen- wie im Justizministerium gebe es Bedenken, ob es sich wirklich um rein humanitäre Aktionen handle, sagte Solms. Nur im Falle einer rein humanitären Aktion wird sich die Bundesregierung jedoch nach den Worten von Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) für einen Bundeswehreinsatz in Somalia entscheiden. Dazu gehöre außerdem, daß die Aktion auf ein befriedetes Gebiet beschränkt sei und ohne Zwangsmaßnahmen ablaufe. Unter den „alten Anforderungen“ vom Dezember sei man im Kabinett zu dem Schluß gekommen: „Ja, das geht verfassungsrechtlich.“ Vor der Entscheidung am Dienstag in der Koalition und am Mittwoch im Bundeskabinett werde jetzt geprüft, „ob die Voraussetzungen gleichgeblieben sind, ob das Anforderungsprofil gleichgeblieben ist“.
Dies ist kaum der Fall: Die UN- Resolution vom 26. März über die Aufstellung einer zweiten UN- Truppe für Somalia unterscheidet nicht zwischen humanitären Aufgaben, für die dann deutsche Soldaten in Frage kämen, und anderen. Das gesamte Mandat fällt unter Kapitel7 der UN-Charta, also unter den Begriff „Kampfhandlungen“.
„Befriedete Gebiete“, so die weitere Bonner Bedingung, gibt es nach Meinung aller Somalia-Experten nicht. Die Situation in den einzelnen Landesteilen kann sich täglich ändern. Über die Situation im Norden Somalias, in den UN- Truppen geschickt werden sollen, weiß niemand zuverlässig Auskunft zu geben. Hier war bisher noch kein UN-Soldat.
Die Bundesregierung behauptet zwar, UN-Generalsekretär Butros Ghali habe in seinem am Dienstag in Bonn eingetroffenen, bisher unveröffentlichten Brief, die Entsendung deutscher Soldaten angemahnt. Nach Informationen der taz hingegen beschreibt Ghali in dem Brief lediglich bestimmte Aufgaben und bittet in allgemeiner Form um deutsche Hilfe bei deren Lösung. Diese Hilfe könnten auch das Technische Hilfswerk oder andere Zivilorganisationen leisten.
Den Somalia-Einsatz bereitet gegenwärtig das Bundesverteidigungsministerium vor. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag ist als Einsatzgebiet für die rund 1.500 Soldaten die Umgebung der Stadt Boosaaso im Nordosten Somalias im Gespräch. Ein Vorauskommando von etwa 20 Mann solle nach der Entscheidung zur deutschen Beteiligung an der UN-Hilfsaktion nach Somalia aufbrechen. Anfang Juli könnte der Rest des deutschen Kontingents in dem ostafrikanischen Land eintreffen.
Rund 150 Soldaten sollen die politisch umstrittene „Selbstschutz-Komponente“ der Truppe bilden. Der deutsche Verband werde vorwiegend aus einem Transport- und einem Nachschubbataillon sowie aus Pionieren, Heeresfliegern, Fernmeldern und Sanitätern bestehen. Mit dieser „Selbstschutzkomponente“ sollen zum ersten Mal Bundeswehrsoldaten unter Bewaffnung außerhalb des Nato-Gebietes eingesetzt werden. Die rund 150 Infanteristen, die Pioniere, Fernmelder und Sanitäter vor Übergriffen somalischer Clans schützen sollen, werden mit dem G-3-Gewehr, Maschinengewehren und Pistolen ausgerüstet. Die Einheiten werden über leichte geländegängige Fahrzeuge und auch Transporthubschrauber verfügen.
Die rechtliche Frage bereitet auch den Sozialdemokraten weiter Kopfzerbrechen. So hält SPD-Vize-Chef Oskar Lafontaine einen Bundeswehreinsatz in Somalia nur nach einer Grundgesetzänderung für möglich: „Wenn die Verfassung geändert wäre, stünde solchen Einsätzen nichts entgegen.“ Der SPD-Politiker Egon Bahr plädierte für eine Beteiligung an Einsätzen, „die kriegerische Mittel erfordern“ – aber nur im Rahmen der UNO.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen