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Hält doppelt besser?

■ Bezirke mucken auf gegen Zentralismus der Umweltbehörde bei Altlastenanalyse / Giftfunde schmeißen Planungen oft über den Haufen

/ Giftfunde schmeißen Planungen oft über den Haufen

Zwei Jahre verhandelten die Bezirksbeamten mit dem Investor. Der wollte am Winterhuder Goldbekplatz ein Gebäude mit Wohnungen und Arztpraxen bauen, brauchte dafür eine Ausnahmegenehmigung und ein paar Quadratmeter städtische Fläche. Beides aber sollte er nicht umsonst bekommen: Nur wenn er bereit wäre, eine Grünfläche herzurichten, Boden zur Verbreiterung des öffentlichen Radweges abzugeben und eine Fußgängerbrücke über den Goldbekkanal zu bauen, sollte der Deal klargehen.

Der Investor schlug ein, die Bezirksbeamten jubilierten. Zu früh. Denn vor der endgültigen Bewilligung des Bauantrags folgte die obligatorische Altlastenuntersuchung der Umweltbehörde auf dem Baugelände. Die wurde fündig, ermittelte FCKWs (Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe) im Baugrund. Da er nun auch noch zwei Millionen Mark für die Bodensanierung berappen sollte, ließ der Investor den Handel entnervt platzen. Brücke und Radfahrweg waren passé, der Verhandlungsmarathon umsonst gewesen.

Die Posse ist kein Einzelfall. 2000 Flächen der Hansestadt sind nach Untersuchungen der Bezirke möglicherweise mit Giftstoffen kontaminiert. Da die Umweltbehörde nicht alle potentiellen Altlastenstandorte auf einen Schlag untersuchen kann, greift sie außerhalb ihrer eigenen Prioritätenliste immer nur dann zu Bodenmessungen, wenn ein geplantes Bauprojekt unmittelbar vor der praktischen Umsetzung steht. Mit schöner Regelmäßigkeit werfen die so erhaltenen Giftfunde alle Planungen über den Haufen. Für die Bezirks-Behörden heißt es im hanseatischen Bau-Monopoly dann stets: Gehe zurück auf Los.

Ganze Bebauungspläne mußten nach solchen Messungen erneut aufgerollt werden und verzögerten sich um Jahre. Um gegen das behördliche Schildbürgertum anzugehen, das Investoren nachhaltig verprellt und Behördenmitarbeiter in fruchtlose Beschäftigungstherapien verwickelt, hat nun die SPD-Fraktion des Bezirks Nord eine Hamburg-weite Initiative gestartet. „Wir wollen mitbestimmen, wann die Bodenproben gemacht werden, und welcher potentielle Altlastenstandort als Verdachtsfläche deklariert wird“, erläutert der Bezirksabgeordnete Peter Tschentscher die Stoßrichtung. Dabei gehe es nicht darum, mehr Flächen zu untersuchen, sondern nur rechtzeitiger. Sofort, wenn ein neuer Bebauungsplan aufgestellt, ein Bauantrag erstmals verhandelt wird, sollen auch die notwendigen Bodenanalysen vorgenommen werden.

„Unter dem Strich wird das sogar billiger, weil wir doppelte Planung vermeiden“, begegnet Tschentscher möglichen Befürchtungen, die Meßbegehren der Bezirke wären nicht finanzierbar. Die Bezirksversammlungen Harburg und Hamburg-Nord haben dem Antrag bereits zugestimmt, jeweils ohne Gegenstimme. Da andere Bezirke bereits angekündigt haben, dem Beispiel zu folgen, ist nun die Umweltbehörde am Zug. Sie muß entscheiden, ob sie bereit ist, Kompetenzen an die Bezirke abzugeben, damit nicht weiter nach dem Motto „Doppelt hält besser“ geplant wird. Marco Carini

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