: „Nicht aus der Vergangenheit wegstehlen“
■ Große Gedenkveranstaltung im Bremer Rathaus: 50 Jahre Aufstand im Warschauer Ghetto
Mann
am Mikro
Arnold Mostowicz
Kein bißchen selbstverständlich, daß diese Veranstaltung so stattfinden kann, erfreulich, daß sie ihren Ort im Festsaal des Bremer Rathauses haben wird, nicht gerade naheliegend, daß ausgerechnet diese Gäste in unser Land und nach Bremen kommen wollen: Für die Bremer Gedenkveranstaltung zum Aufstand im Warschauer Ghetto am Mittwoch abend haben Arnold Mostowicz und Raul Hilberg ihr Kommen zugesagt und Vorträge angekündigt; die Gesandte der israelischen Botschaft wird ein Grußwort sprechen.
Für Mostowicz, inzwischen hoch in den Siebzigern, ist es überhaupt nicht selbstverständlich, im Lande der Täter an so einer Veranstaltung teilzunehmen. Mostowicz, in Polen in einer jüdischen Familie als Sohn eines bekannten Regisseurs geboren, hat das Ghetto in Lodz überlebt, wo er als Arzt arbeitete. Nach der Liquidierung des Ghettos durch die Deutschen wurde er nach Auschwitz und in verschiedene Arbeitslager verschleppt, bis er 1945 befreit wurde. Nach dem Krieg wurde er Chefredakteur der Warschauer Satirezeitschrift „Stecknadel“ - aber dort entließ man ihn 1968 im Rahmen der damaligen Hetz- und Verfolgungskampgagne der kommunistischen Regierung gegen die noch lebenden polnischen Juden. Seit 1990 ist er Gründungsvorsitzender der Vereinigung jüdischer Kämpfer und Kriegsverfolgter in Polen. Weil er inzwischen für die polnische Regierung Berater ist in Fragen der Entschädigung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, kann man von ihm in Bremen wohl deutliche Worte erwarten zu der bundesdeutschen und auch Bremer Praxis der sogenannten „Wiedergutmachung“ oder „Entschädigung“.
Der andere prominente Gast ist Raul Hilberg, Politik-Wissenschaftler, 1926 in Wien geboren und 1939 mit den Eltern nach Nordamerika ausgewandert.
Auch für Hilberg gibt es viele Gründe, kein unkompliziertes Verhältnis zu diesem Deutschland zu haben; er kam seit der Emigration nur ganz wenige Male her. Hilberg arbeitete nach dem Kriege als einer der ersten mit den in die USA überführten deutschen Nazi-Akten; er veröffentlichte 1961 das Werk über die „Vernichtung der europäischen Juden“. Er mußte aber noch geschlagene 21 Jahre abwarten, bis sein renommiertes Buch, international längst als das Standardwerk anerkannt, ausgerechnet auf deutsch veröffentlicht wurde: 1982. Mit seinem neuen Buch „Täter, Opfer, Zuschauer“ erregte Hilberg in den letzten Monaten Aufsehen weit über die Fachkreise hinaus.
In der Bundesrepublik gibt es nach wie vor unübersehbare Schwierigkeiten, mit der Vergangenheit und auch mit dem Gedenken an diesen einzigen bewaffneten Aufstand im Ghetto angemessen umzugehen. Deutsche SS und Wehrmacht warfen den Aufstand 1943 gnadenlos nieder; nur eine handvoll Kämpfer entkam durch das Kanalsystem.
Daß der Präsident der Bremer Landesregierung jetzt als Schirmherr für die Veranstaltung im alten Festsaal des Rathauses mit einem Grußwort antritt, ist wie ein Signal; daran kann abgelesen werden, daß auch der Senat die Initiative der Bremer BürgerInnen aufnimmt. Die VeranstalterInnen wünschen
Mann
mit Brille
Raul Hilberg
sich deutliche, große Beteiligung der BremerInnen um zu zeigen: „Wir gedenken der Vergangenheit, öffentlich, und wir fühlen uns verantwortlich. Die Probleme der Gegenwart sind kein Grund, sich aus der Vergangenheit davonzustehlen — im Gegenteil.“ S.P.
Zwischen den Grußworten und Vorträgen wird Ramon Jaffé auf dem Cello Stücke von Ernest Bloch spielen. Mittwoch, 21.4., um 20 Uhr, Bremer Rathaus, Eintritt frei
Die Gedenkveranstaltung wird ergänzt mit einer ganzen Reihe von Filmen, Lesungen, Debatten, Ausstellungen, Einführungsabenden und Seminaren. Termine im taz-Wochenprogramm und im Tageskalender; Faltblätter liegen in Bremen in den Bibliotheken und an anderen Stellen aus.
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