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"Die linke SS marschiert bereits!"

■ "Rechte Psychoseekte" VPM überzieht ihre KritikerInnen mit Prozessen und Diffamierungen als "Linksfaschisten"

Berlin (taz) – Die jüngsten Geschichten um den „Verein zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ (VPM) seien aus dem „Stoff, der Krimis oder Agentenfilme brisant macht“. Das findet zumindest der Züricher Tagesanzeiger. Telefonanzapfen, Wanzensetzen, Akten- und Diplomarbeitenklau – der in der Schweiz, Österreich und Deutschland aktive Verein, den der Spiegel jüngst als „rechte Psychosekte“ bewertete, schreckt anscheinend nicht mal mehr vor kriminellen Methoden zurück, wenn es darum geht, KritikerInnen auszuschalten.

In der Schweiz gehört die Auseinandersetzung mit dem VPM fast schon zu den zentralen innenpolitischen Themen. „Die Lieblinge“ werden seine AnhängerInnen mit keineswegs liebevollem Unterton genannt – in Anlehnung an die schillernde Person des Friedrich Liebling, der die Psycho- Bewegung in Zürich begründete und in den siebziger Jahren einen Massenanlauf von frustrierten 68ern erlebte. Nach seinem Tod im Jahre 1982 spaltete sich die „Zürcher Schule“ jedoch. Unter Führung von Dr. Annemarie Buchholz-Kaiser übernahm der siegreiche Teil Lieblings Vermögen und gründete 1986 den VPM, der in den folgenden Jahren einen scharfen ideologischen Rechtskurs einschlug. Seine mehrere tausend Köpfe zählende Anhängerschar rekrutierte er unter anderem durch Kurse für SchülerInnen mit Lernschwierigkeiten, in Kreisen verunsicherter Studenten und unter AkademikerInnen.

Anscheinend fühlen sich viele Lehrer, PsychologInnen und Ärzte von den sozialen Problemen in ihren Berufen so überfordert, daß sie von einer keimfreien heilen Welt träumen und sich von den plattesten Rezepten gegen Drogen, Aids und Gewalt begeistern lassen. Und schließlich selbst in die fürsorglichen Fänge der VPM geraten. Dort wird ihnen nahegelegt, daß sie wohl niemals die psychische Reife erreichen werden, um je wieder ohne andauernde Therapie zu leben. In der wohligen Wärme der Gruppe seien sie geschützt, so erfahren sie, draußen aber lauerten die „Linksfaschisten“ und „Systemveränderer“. Die „Neue Linke“ – und darunter versucht der VPM selbst pietistische Kritiker zu subsumieren – verhindere nämlich die Identifikation der Kinder mit den Eltern, verwässere den Suchtbegriff, verharmlose die Gewalt und propagiere „einen homosexuellen Lebensstil“.

Wanze in der Wohnung, Mitlauscher im Telefon

„Die linke SS marschiert bereits!“, hieß es beispielsweise auf einem Spruchband, das auf einem Quartierfest in Zürich-Wipkingen aufgehängt wurde. Anlaß: Der Streit um die Kandidatur eines Lehrers und erklärten VPM-Sympathisanten in der Kreisschulpflege im Frühjahr 1992. Verteiler eines Flugblatts „wurden auf Schritt und Tritt von „Lieblingen“ bedrängt und beschimpft, angerempelt und fotografiert“, beschrieb die Weltwoche die Szenerie. Auch beim Aufspannen der Parole sei es zu „Handgreiflichkeiten“ gekommen.

Im Herbst 1992 reifte das Geschehen zum Krimi heran, als zwei VPM-Mitglieder sich als Freizeitagenten betätigten: Sie setzten einem Abtrünnigen, der als Berater der Züricher Erziehungsdirektion fungierte, eine Mikrophon-Wanze in die Wohnung, hörten sein Telefon ab und stahlen ihm VPM-Unterlagen aus dem Briefkasten. Als Motiv gaben die Täter bei ihrer polizeilichen Vernehmung an, der Berater verbreite „Unwahrheiten über den VPM, die dieser Organisation sehr schaden“. Im Dezember mußte gar ein Kantonsabgeordneter zurücktreten, der Rechtskonservative Werner Stoller. Er hatte den Züricher Erziehungsdirektor Alfred Gilgen beschuldigt, Geheimdossiers über VPM- Mitglieder an den Schulen angelegt zu haben. Doch dann stellte sich heraus: Ein Teil der paketschweren Beweise waren von einem Schreibtisch der Erziehungsdirektion geklaut worden, ein anderer bestand aus unschuldig weißem Papier, das der Abgeordnete „aus taktischen“ Gründen eingeschwärzt hatte.

In den jüngsten Fall illegaler Aktivitäten des VPM sind sogar die Majestäten Kaiserin und Kaiser höchstselbst verwickelt: Wegen Verwendung einer aus der Uni gestohlenen Lizentiatsarbeit wurden die fachliche Leiterin des VPM, Annemarie Buchholz-Kaiser, und ihr Cousin, VPM-Vereinspräsident Ralph Kaiser, zu je 400 Franken Buße bestraft. Die Geschädigte war eine ehemalige Psychologiestudentin, die am Rande ihrer Arbeit über Sekten auch den VPM erwähnt hatte.

Die beiden VPM-Führer hatten das ihnen angeblich anonym zugesandte Werk an die darin erwähnten Sekten verschickt – mit der Bitte, „das Ihnen Mögliche“ zu unternehmen, damit der zuständige Professor die Arbeit nicht anerkenne. In einer beigelegten Schrift hieß es laut Tagesanzeiger warnend, die Studentin gehöre zum „extremen alternativ-rot-grünen Spektrum“. Und: „Als gefährliche Weiterentwicklung dieser Kreise, die mit Marx, Trotzki, Stalin, ja selbst mit Hitler und Mussolini noch nicht gebrochen haben, muß die Ausweitung ihrer Ideologie und Mittel durch gefährliche persönlichkeitszersetzende Psychotechniken aus dem Umfeld der sogenannten Gestalttherapie und der sogenannten kritischen Psychologie angesehen werden.“

Hunderte von Prozessen derzeit anhängig

Marx, Hitler, die GestaltpsychologInnen, sie landen alle in einem Topf – zusammen mit den VPM- Kritikern, gegen die die „Lieblinge“ im übrigen auch liebend gerne juristisch vorgehen. In der Schweiz, wo die Auseinandersetzung mit dem VPM den höchsten Reifegrad erreicht hat, seien an die 100 bis 150 Prozesse anhängig, schätzt ein Schweizer Kirchenmann und intimer Kenner des Psychovereins. „In den Lehrerzimmern im Umkreis von Zürich herrscht Angst“, berichtet er, „man redet nicht mehr über den VPM, weil Lehrer Kollegen wegen Verleumdung angezeigt haben.“ Und allein rund 20 Verfahren seien im Zusammenhang mit der sogenannten Hemminger-Broschüre angestrengt worden, unter anderem gegen JournalistInnen und Pfarrer, die daraus nur kurze Passagen zitiert hatten.

Hans-Jörg Hemminger von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Stuttgart hatte 1991 einen VPM-kritischen Artikel für eine Werkmappe zum Thema Sekten verfaßt. Solcherart ruchlose Taten rufen meist umgehend den Verein auf den Plan. In der Schweiz und in Österreich gelang es seinen Anwälten denn auch zunächst, juristisch gegen die Verbreitung der Mappe vorzugehen – in der Schweiz endete das Verfahren in der zweiten Instanz mit einem Vergleich, in Österreich blieb es bis heute unentschieden in der ersten Instanz hängen. In Deutschland indes erlebten die Psychos Anfang 1992 vor dem Landgericht Rottweil eine Bauchlandung, ihre einstweilige Verfügung gegen den angeblichen „Marxisten“ Hemminger wurde zurückgewiesen.

Auch dieser Artikel für die VPM Grund zum Klagen und Greinen

So darf der Kirchenmann also hierzulande weiterhin behaupten, daß für den VPM jede Kritik ein „von linksextremen Kräften“ geführter Feldzug sei. Jene angeblichen Linken, so beschrieb er die VPM- Weltsicht, „zielen darauf ab, die bürgerliche Gesellschaft zu unterminieren, indem sie destruktive Kräfte fördern, seien es Aids, Drogen oder Neurosen. Dieser Verschwörung steht der VPM im Weg, da er über therapeutische und präventive Mittel gegen den Zerfall verfügt, und daher wird er zum Hauptgegner der Umstürzler.“ Auch dieser Artikel wird dem VPM wohl ein neuer Anlaß zum Klagen und Greinen sein.

Eine andere Spezialität der „Lieblinge“ sind prophylaktische Klagen. Eine Mitarbeiterin der Erzdiözese Wien, gleichzeitig Mitherausgeberin des „Lexikons der Sekten“, erhielt 1990 die schriftliche Aufforderung, den VPM darin auf keinen Fall zu erwähnen. Der katholischen Kirche in Berlin flatterte im Herbst 1992 eine Unterlassungserklärung ins Haus: Eine Würdigung der Gruppierung im Rahmen ihrer „Sektenwoche“ werde Konsequenzen haben. Die Referentin für neue religiöse und weltanschauliche Bewegungen des Berliner Senats erhielt Anfang 1992 eine präventive Klageandrohung im Falle einer Erwähnung des VPM in ihrem Senatsbericht. Als die kämpferische Frau und die zuständige Senatsverwaltung für Jugend und Familie sich nicht beugen wollten, folgten weitere Briefe und Klagen.

Senatsbeamter als Feierabend-Justitiar

Besondere Pikanterie am Rande: Eines dieser Schreiben, in dem der Behörde die mögliche Zahlung von Schadensersatz wegen Rufschädigung angedroht wurde, war von einem anderen hohen Senatsbeamten unterzeichnet worden. Wilhelm Spatz, für Ausländerfragen zuständiger Regierungsdirektor in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres, hatte es als Vorstandsmitglied der „Gesellschaft zur Förderung der psychologischen Menschenkenntnis“ abgezeichnet – so heißt der Berliner Ableger des VPM.

Der Jurist, der das Land Berlin in der Kommission der Ausländerreferenten der Bundesländer vertritt und dortselbst am Ausländergesetz herumbasteln darf, spielte offenbar den Feierabend-Justitiar der Psychogruppe – zur Not auch gegen andere Senatsbehörden. Sein Dienstherr, CDU-Innensenator Dieter Heckelmann, fand daran bislang nichts Verwerfliches. Aber die aufgespürten Scharen von Rechtsradikalen und Kriminellen in seiner Freiwilligen Polizeireserve störten ihn ja auch nicht.

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