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Die Gesellschaft läßt sich nicht so leicht militarisieren

■ Die Deutschen fragen sich, was nach dem Ende der Blöcke eine Bundeswehr soll

Angst ist schlecht. Zuversicht ist gut. Das wissen auch Verteidigungsminister Volker Rühe und seine führenden Militärs. Und weil es Zuversicht nicht ohne Zukunftsperspektive gibt, suchen sie nach neuen Aufgaben und einem neuen Image für die Bundeswehr — Truppenreduzierung hin, Stopp von Rüstungsprojekten her. Da propagieren sie mit kräftiger Unterstützung der Regierungskoalition Kriegsspiele außerhalb des Verteidigungsauftrages und träumen vom deutschen Soldaten allüberall. Über Bundesgrenzschützer in Namibia, deutsche Minensuchboote im Golf und deutsche Uniformen an Bord von Awacs- Maschinen wird die Öffentlichkeit stufenweise desensibilisiert — bis sie nicht mehr allergisch reagiert: auf den weltweiten Kampfeinsatz.

Doch so sehr sich Volker und die Truppe auch anstrengen, so leicht läßt sich die Gesellschaft nicht militarisieren. Die Deutschen mögen ihre Bundeswehr nicht besonders und wollen sich mit deren neugesetzten Aufgaben nicht recht anfreunden. Nur 15 Prozent der BundesbürgerInnen sind für Kampfeinsätze unter UNO-Kommando, und auch friedenserhaltende Blauhelm-Missionen befürworten nur 29 Prozent. Immer weniger junge Männer sind bereit, sich im Kasernenhofton drillen zu lassen. Allein in den ersten beiden Monaten dieses Jahres haben bereits 30.000 den Kriegsdienst verweigert. „Wir erwarten für 1993 ein neues Rekordverweigerungsjahr“, meint Christian Herz von der „Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär“. „Zum einen wegen der Blauhelm-Debatte und zum anderen weil ja selbst Berufssoldaten völlig frustriert sind und nicht mehr wissen, was ihre Plfichten und Rechte sind.“

„Wir sehen diese Tendenz“, bemerkt Oberstleutnant Meyer- Ricks von der Bonner Hardthöhe. „Aber das muß uns nicht offenkundig Sorgen machen.“ Denn noch immer hat die Truppe mehr als genügend Anwärter. Die Nachwuchssorgen, die die Bundeswehr vor der Vereinigung drückten, sind durch dienwillige und ansonsten perspektivlose Ostmänner behoben; nur noch 65 Prozent der Wehrdienstpflichtigen müssen einrücken, um das Kontingent von rund 220.000 zu füllen und mit 260.000 Berufs- und Zeitsoldaten die derzeitige Truppenstärke von 500.000 Mann zu stellen.

Doch die Legitimitätsprobleme sind damit nicht behoben. Und entsprechend sauer reagiert das Verteidigungsministerium, wenn es auf den Selbsterhaltungstrieb der Institution angesprochen wird. Meyer-Ricks: „Wer Bundeswehr und Nato unterstellt, sie seien verzweifelt auf der Suche nach neuen Aufgaben, erweckt böswillig einen falschen Eindruck. Bei den diskutierten Einsätzen geht es nicht um Volk und Vaterland, sondern um Recht und Unrecht.“

„Da gehören zivile Hilfscorps hin“

Nur glaubt das in der Bevölkerung kaum jemand. „Insgesamt ist die Bundeswehr umstrittener denn je“, konstatiert Herz. Sie wird nicht mehr richtig ernst genommen, paßt in die Lebensplanung junger Leute einfach nicht hinein. „Nach dem Wegbrechen der Ost-West-Feindbilder fragen sich immer mehr Wehrpflichtige, was das Ganze eigentlich soll“, berichtet Barbara Kramer von der „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen“. Doch die politischen Argumente der früheren Kriegsdienstverweigerer sind durch subjektive Motive abgelöst worden. Immer mehr junge Männer versuchen jedwedem „Vaterlandsdienst“ zu entkommen, um sich voll auf Beruf und Karriere konzentrieren zu können. Kramer: „Was die Militarisierung der Gesellschaft und der Dienst in dieser hierarchisch strukturierten Organisation bedeutet, wird heute auch unter Kriegsdienstgegnern kaum noch diskutiert.“

Dafür gibt es wenigstens bei der Truppe eine Handvoll Soldaten, die sich darüber Gedanken macht. „Die Bundeswehr ist in ihrer Struktur demokratiefeindlich“, sagt Oberstleutnant Lothar Liebsch vom „Darmstädter Signal“, einer Vereinigung kritischer Soldaten. Kein Politiker und kein hoher Militär würde sich die Mühe geben, mit den Leuten in den Kasernen über die neuen Einsatzfelder zu diskutieren. Liebsch: „Weder in Somalia noch in Jugoslawien hat die Bundeswehr was zu suchen. Da gehören zivile Hilfscorps hin. Wir vom Darmstädter Signal würden uns nicht hinschicken lassen.“ Bascha Mika

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