piwik no script img

Frei flottierende junge Körper

■ „Singles – gemeinsam einsam“ von Cameron Crowe

Die ersten masochistischen Erfahrungen macht man als Jugendlicher im Kino, wenn all jene Gesten und Rituale, die dem Gruppenzugehörigkeitsgefühl oder der individuellen Abgrenzung dienen, zu allgemeinverständlicher Jugendkultur entstellt von der Leinwand zurückverabreicht werden. Stil kippt ins Peinliche um, Romantik in Spießbürgertum und aufrichtiger Vaterhaß in die Sehnsucht nach Anerkennung. Jugend wird zum Triumph der Kleinfamilie über ihr schwächstes Glied. Erwachsene lassen im Vollbesitz der Produktivkräfte unsichere Halbstarke debiles Zeug über Liebe reden, schauen heiter-erregt den Mädchen beim Duschen zu oder amüsieren sich über Jungs, die im ersten Vollrausch hilflos neben die Waschschüssel kotzen. Unruhig und schockhaft aufgestaut, steigert sich die schonungslose Lügengeschichte meist bis zum finalen Selbstmordversuch, doch dann eilt die Mutter oder Einguterfreund herbei, um gegen das erhoffte Ableben den Seelenfrieden wiederherzustellen. Danach wechselt man entweder erlöst zu Splatterfilmen über oder denkt an eine baldige Heirat, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Auch „Singles“ macht alles falsch, was man über das Phänomen jugendlicher Unschuld falsch machen kann. Statt sich mit dem geschäftstüchtigen Underground der neuen Rock-Szene aus Seattle zu beschäftigen oder dem computergesteuerten Neo-Hippie- und New-Age-Tum an der Westküste, treffen Jungs solange auf Mädels, bis die Glocken läuten. Der schnitzlerisch angelegte Reigen frei flottierender junger Körper wird zur müden Groß-WG-Geschichte, in der zwar nicht jedEr mit jedEm will, aber alle könnten. Schließlich ist der vermeintliche Grungerock-Star ebenso austauschbar wie die Schönheit in Pink, die über Kontaktanzeigen nach Höherem strebt. An den Haaren sollt ihr sie erkennen: Kurzhaarige Jungmanager, Sekretärinnen mit Korkenzieherlocken, kellnernde Beatnikpilzköpfe, Spitzbart, Dreads und Rock'n'Roll – alle Frisuren sind möglich. Geföhnter Freestyle und jede Menge Einsamkeit zwischen Öko-Karriere und dem ersten Ausbleiben der Regel, das ist die Jugend, die sich die Woodstockgeneration als Nachwuchs wünscht, während die Drug-Addicts, Homeboys und Mestizen im witzigen Black Cinema aus South Central, L.A., ihren minoritären Charakter unter Beweis stellen dürfen.

Einzig der Rocker wird von Ex- Rolling-Stone-Schreiber Cameron Crowe wohlwollend integriert. Matt Dillon schrammelt in der Rolle des ambitionierten Amateurmusikers unbedarft auf der Gitarre herum und muß ansonsten die meiste Zeit wie eine Comic-Figur von Robert Crumb ein wenig angekifft durchs Bild schlurfen. Zum Auftritt seiner Band „Citizen Dick“ (sic!) wird es zum Glück nicht kommen, statt dessen hängen die Langhaarigen vor MTV-Clips ab. Es gibt nur noch Vorbilder, die bereits für die Identifikation der Eltern hergehalten haben. Gleich zu Beginn liegt Dillon auf dem Grab von Jimi Hendrix. Doch der Popstar existiert nicht einmal mehr in der Einbildung, sondern lediglich als Poster an der Wand zwischen vollbusigen Aufklapp-Größen aus dem Playboy. Das völlig unversiffte Zimmer erinnert dagegen an eine Bundeswehrstube, in die der filmende Erwachsene seine Anti-Autorität eingeschrieben hat. Das ist keine WG, das ist die Hölle.

Mit dem Sex ist es nicht anders. Zum Körperspiel reiben sich Boxer-Shorts an Bodystockings, dabei wird gekichert, als hätte ein Schuft die Lätta gestohlen. Passend zur neuzeitlich fundamentalistischen Lebenspraxis aus dem durchtrainierten Bauch heraus wird die junge Frau dann nicht ganz gewollt schwanger, während für die Busenvergrößerung auch der medizinische Eingriff in Ordnung geht. Ein Film aus dem Land der Nichtraucher. Harald Fricke

Cameron Crowe: „Singles – gemeinsam einsam“. Mit Campbell Scott, Kyra Sedgwick, Bridget Fonda, Matt Dillon u.a.; USA 1992, 97 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen