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Zwischentöne und Nebensachen

Über Heinz Knoblochs neueste Umwege  ■ Von Florian Baumgart

„Aber es gibt noch ruhende Pointen in dieser Stadt.“ Wer es nicht glauben mag, nehme doch bitte eines der Bücher von Heinz Knobloch zur Hand, etwa seine neuesten Berliner Beobachtungen. „Die schönen Umwege“ heißt ein kleiner Band mit teilweise unveröffentlichten Feuilletons aus Vor- und Nachwendezeiten. Klar, daß ein so sensibler Zeitgenosse die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen auch aus der Perspektive der eigenen Verantwortlichkeit bezeugt. Knobloch war bis 1991 fast 40 Jahre Redaktionsmitglied und zwischenzeitlich Chef des Feuilletons der ehemalig Ostberliner und mittlerweile gesamtdeutschen Wochenpost. Viele seiner Texte sind in einer festen Rubrik erschienen. Einiges ist aber auch nicht erschienen oder wurde von der Zensur zerrupft. Über das Zerrupfte und Gestrichene hat er Logbuch geführt, ohne Wut und Weh im nachhinein, wie er schreibt. Das galt beispielsweise für so unbotmäßige Formulierungen wie „Paris, Hauptstadt von Frankreich“. Oder folgendes: Als ein Liebhaber Fontanes, dessen Grab in der „Schutzzone“ im Mauerschatten an der Chausseestraße gelegen und deshalb einst nur mit Erlaubnis „von oben“ aufzusuchen gestattet war, weiß Knobloch, daß es immer auf die Nebenumstände ankommt und die Historie sich selten mit den Hauptsachen abfindet. In diesem Sinne ist Knobloch Chronist. Er flirtet mit dem doppelten Boden seiner Geschichten. Weil die „Wege zu Fontanes Grab“ nicht erscheinen durften, gar von „staatsfeindlicher Hetze“ wurde gemunkelt, lesen wir es nun etwas verspätet als literarischen Spaziergang durch den banalen Alltag der Zensur.

Die Prosa-Skizzen und Porträts dieser Sammlung stammen aus den Jahren 1988 bis 1993, teilweise mehrfach ergänzt und überarbeitet in einer nicht nur durch die Zeitläufte diktierten Auswahl. Wer will, kann dennoch ein Stimmungsbild des Wandels daraus lesen. Der Autor war ja über Nacht zum Bundesbürger geworden, schrieb also über „Mauerstückchen“ und „Deutschmark“ oder den Abschied von der „Hauptstadt“.

Manchmal, wenn Knobloch auf das Jüngstvergangene zu sprechen kommt, erschrickt man förmlich darüber, wie schnell es sich doch stets der Erinnerung entzieht. Ist uns denn „das Pickgeräusch der Mauerspechte“ nicht mehr in den Ohren? Es war doch allgegenwärtig geradezu. Einst wird es zum Kanon der „Stadtgeräusche“ zählen. Wir bauen also weiterhin auf die Benjamins, Hessels und Knoblochs, die uns mit historischer Verzögerung in die Dinge einweihen. Vermutlich wird man letzteren auch gerechter, feiert man sie sozusagen nach.

Wie die Älteren besitzt auch Knobloch seine kleine Mythologie des Tiergartens: Auf dem Weg zu Moses Mendelssohn, erst durch das Buch, das er über ihn verfaßte, wurde Knobloch im Westen bekannt, geriet ihm das Lessing- Denkmal zu einer „Entdeckung und Offenbarung“. Desgleichen stellte sich beim Wiedersehen nicht mehr ein. Ich selbst erinnere mich auf andere Weise dieses auf einmal respektlos schwarz und rot angestrichenen Wehrlosen aus den Zeiten, als meine Streifzüge die „neue“ alte Mitte Berlins noch nicht berührten. Ob Knobloch weiß, wer denn die mit seiner Mißbilligung gestraften Anstreicher waren, die sich seinerzeit in historischer Einmaligkeit vom besetzten Lenné-Dreieck über die Mauer „nach drüben“ retteten? Es sei verziehen, daß sich jeder noch einmal seinen eigenen Text zusammenbraut.

Knoblochs Zeitgenossenschaft ist immer eine überaus liebevolle Einmischung in berlinische Vergangenheit und Gegenwart. Damit geht seine kurze Prosa weit über die graziösen, doch unverbindlichen Reminiszenzen des gängigen Feuilletons hinaus. In seinen texten rettet er die „Kleine Form“. Mit feiner Feder kreist er in selten gewordener Gelassenheit und Heiterkeit über dem amorphen Material seiner Stadt, über den fast entglittenen Erinnerungen und reicht mit seiner Neugierde , mit dieser immer verdächtigen Indiskretheit in die Nischen des vernachlässigten Details. Für die Flaneure, die Liebenden, hat er ein Faible, wenn auch für ihn manch ein zielloses Umherschweifen durch die Mauer durchkreuzt wurde. Weil er zu den Privilegierten zählte, war es ihm möglich, visabewehrt den unterbrochenen Spaziergang „drüben“ fortzusetzen. Berlin war wohl nie eine richtige Stadt zum Spazierengehen.

Da steckt Melancholie drin. Das muß so sein für denjenigen, der immer ein wenig beiseite und über den Dingen steht. Daher kommt es, daß bereits der erste Text vom „letzten Stündlein“ handelt, wie alles nur ein wenig hinausgeschoben wird im Leben. Knobloch schildert manche unglaublichen und phantastischen Zufälle, dank derer er überlebte. Und doch sieht er darin kaum mehr als dankbar hingenommene Zeichen, denen zu opfern er nicht versäumte: „ein Dutzend Zähne, den Blinddarm, die Nasenscheidewand – kleine Geschenke nach vorn. Zur Besänftigung. Boten.“ Von einem Grab, einem delikaten zwar, handelt dann der letzte Text. Das ganze Leben erweist sich als eine Zwischenzeit, als Umweg.

Heinz Knobloch: „Die schönen Umwege. Beobachtungen.“ Transit Verlag, 1993, 144 Seiten, gebunden, 28 DM

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