: Der angewandte Modus
Bei der Eishockey-WM denkt Bundestrainer Ludek Bukac nach dem 5:3 gegen Frankreich nur noch an das bereits erreichte Viertelfinale ■ Aus Dortmund Matti Lieske
„Oh, wie ist das schön“, sangen 7.500 Zuschauer nach der Schlußsirene des Matches der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft gegen Frankreich. Das Spiel konnten sie allerdings kaum meinen, und auch nicht die Massenkeilerei, die sich gerade auf dem Eis abspielte. Sie meinten das Ergebnis: 5:3 für die Deutschen.
„Oh, wie ist das schön“, dachte auch Bundestrainer Ludek Bukac, selbst wenn er dabei einigermaßen grimmig dreinschaute. „Die WM ist gerettet“, stammelte er immer wieder glücklich. „Das war das wichtigste Spiel. Jetzt können wir locker aufspielen.“
Der Philosophieprofessor aus Prag hat das Reglement dieser WM genau studiert und herausgefunden, daß es für sein Team, welches so eben am Rande der Weltklasse entlangschliddert, gewisse Vorteile enthält. Aus jeder der beiden Sechsergruppen erreichen vier Teams das Viertelfinale, es genügt also in der Regel, zwei Kontrahenten zu besiegen. Norwegen wurde bereits im Eröffnungsspiel mit 6:0 geschlagen, der Erfolg gegen Frankreich bedeutete den gelungenen Abschluß des Pflichtprogramms, der Rest der Vorrunde ist unwichtig.
„Wir sind nicht gut genug, zwei, dreimal hintereinander gegen die Tschechen oder die Finnen zu gewinnen“, weiß Bukac, wohl aber einmal – wenn es drauf ankommt. „Der Modus bietet viele Möglichkeiten“ – wenn es ihm gelingt, seinen Akteuren eine neue Philosophie einzutrichtern: die des „Lucky Losers“, der im rechten Moment aus dem Hinterhalt auftaucht und unverhofft zuschlägt. Es gilt, die traditionelle Verlierermentalität aus den Köpfen zu vertreiben, ohne gleich in eine eitle Hoppla- jetzt-komm-ich-Euphorie zu verfallen. Früher war es das Ziel einer jeden deutschen Mannschaft, in den prestigeträchtigen Vorrundenspielen gegen die Großen einigermaßen gut auszusehen, zu holen gab es eh nichts. Seit die alten Hierarchien des Eishockeys über den Haufen geworfen sind, ist diese Zeit vorbei.
Für die Siegermentalität der Amerikaner, Schweden, Russen, die sich für tendenziell unschlagbar halten, immer volle Pulle spielen und jedes Match gewinnen wollen, ist das deutsche Team aber wiederum zu schwach. Der Weg des Ludek Bukac liegt in der Mitte. „Die USA und Kanada können ihre Spielweise nicht durchhalten“, weiß er, „das schafft der menschliche Körper nicht.“ Irgendwann machen sie schlapp und genau dann will Igel Bukac auftauchen und den abgehetzten Hasen den Garaus machen. Denn der Trainer will mehr als nur das Viertelfinale: „Der achte Platz ist nichts.“
Das Schlüsselspiel in seiner Strategie war das gegen Frankreich. Bei einer Niederlage wäre alles aus gewesen, dementsprechend nervös und fahrig verlief das Match. In den entscheidenden Situationen hatten die Deutschen jedoch Glück. Bereits nach 52 Sekunden flatterte ein Schuß von Hegen ins französische Tor und brachte die flatternden Nerven der Spieler erst mal zur Ruhe, knapp eine Minute später traf Köpf den Innenpfosten und es hieß 2:0, bevor die Franzosen einmal das deutsche Drittel betreten hatten. „Für ein schwaches Team wie uns wird es nach einem solchen Beginn sehr schwer“, grämte sich Frankreichs Coach Kjell Larsson. Schwach spielten danach beide Teams, aber jedesmal, wenn die Franzosen den Anschluß schafften und es brenzlig zu werden schien für den Professor und seine WM-Philosophie, gelang den Deutschen das dringend benötigte Tor.
Das wenig ansehnliche 5:3 ließ Bukac einen gewaltigen Felsbrocken vom Herzen fallen und auch die Matchstrafen, die Hiemer, Amann und Ustorf bei der Schlägerei nach Spielschluß kassierten, fielen nicht ins Gewicht. Die Vorrunde ist abgehakt, die Partien heute gegen Finnland und am Sonntag gegen die USA haben nicht einmal mehr statistischen Wert, weil der Bukac nicht interessiert. „Hundertprozentig fit ins Viertelfinale“, lautet seine Devise, tief sitzen die leidvollen Erfahrungen des letzen Jahres, als in der Vorrunde der spätere Weltmeister Schweden geschlagen, aber im Viertelfinale gegen die Schweiz verloren wurde.
Das ganze Trachten des Pragers geht nun dahin, den Spielern ihren fatalen Ehrgeiz auszutreiben. Locker sollen sie in die letzten beiden Vorrundenmatches gehen, ja nicht sinnlos ihre Kräfte verpulvern, lieber freudig in die Niederlage schlittern. Wären da nicht die Fans. Am liebsten würde der Trainer die Spiele unter Ausschluß der Öffentlichkeit absolvieren und das Publikum erst nächste Woche in München wieder zulassen. Denn die fanatischen Zuschauer in der Dortmunder Westfalenhalle kümmert die Theorie des angewandten Modus wenig. Das kalkulierte WM- Puzzle des Dr. Bukac ist ihnen herzlich wurscht, sie wollen Siege sehen, Kampf bis zum Umfallen, Tore ihrer Mannschaft – „Oh, wie ist das schön.“
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