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Erbe in Stein, um der Zeit zu widerstehen

■ Das "U.S. Holocaust Memorial Museum" öffnet seine Pforten - nach heftigen Diskussionen

Aus Washington Andrea Böhm

Man kann nicht einfach auf halbem Wege umkehren. Der Gang durch das „U.S. Holocaust Memorial Museum“ beginnt ganz oben, im vierten Stock. Um wieder hinauszukommen, muß man nach unten – ausgestattet mit einem kleinen, grauen Paß, auf dem Foto und Name eines der Opfer des Holocausts abgedruckt sind. Es beginnt mit dem Namen – in diesem Fall Albert Gani, geboren 1916 in Preveza, Griechenland. Sein Vater besaß ein kleines Textilgeschäft. Mehr erfährt man zu Beginn der Ausstellung nicht. Die Biographie wird in den nächsten drei Stunden durch Computer an mehreren Stationen des Museums vervollständigt – bis zum Tod. Albert Gani wurde im Oktober 1944, im Alter von 28 Jahren, in Birkenau ermordet, nachdem er an einer Revolte gegen die SS-Wachmannschaften teilgenommen hatte.

Den MuseumsbesucherInnen die Identität eines KZ-Häftlings überzustülpen – das mag als Schocktherapie erscheinen, die einem potentiell abgestumpften Publikum das Nachempfinden des Unbeschreiblichen ermöglichen soll. Doch der Paß, den der Automat am Museumseingang für jeden Besucher ausspuckt, gerät tatsächlich zum notwendigen Bezugspunkt: Die Zahl von sechs Millionen Toten ist nicht mehr ganz so unvorstellbar, wenn man ein Foto, einen Namen in der Hand hält.

Es gibt noch weit mehr Porträts, Bilder, Einzelschicksale. Soweit möglich und rekonstruierbar, haben die Organisatoren des Museums die Namen jener Menschen genannt, die auf den Bildern zu sehen sind: polnische Gefangene kurz vor der Erschießung, Mitglieder des Aufstands im Warschauer Ghetto, Opfer der medizinischen Versuche der Nazis in den Konzentrationslagern.

Man kann innehalten. Zum Beispiel bei dem Bild von Emanuel Ringelblum, Mitbegründer der Untergrundgruppe Oneg Shabbat im Warschauer Ghetto. Man sieht das Gesicht und beginnt sich vorzustellen, wie er 1940 täglich die Ereignisse im Ghetto aufzuzeichnen begann, Radionachrichten von der Welt draußen aufnahm und die Aussagen von Juden protokollierte, die aus den Lagern Chelmno und Treblinka geflohen waren. Neben seinem Foto, auf dem er lächelnd einen Jungen im Arm hält, ist eine der Milchkannen ausgestellt, in denen Ringelblum sein Material versteckte. Am 7. März 1944 wurde er zusammen mit Frau und Sohn von einem deutschen Kommando exekutiert.

Dann ist da Eishishok, ein Shtetl in Litauen, dargestellt durch einen dreistöckigen Turm, dessen Wände mit scheinbar unzähligen Fotos – es sind 1.500 – behängt sind: Familienaufnahmen, Bilder von Fahrradausflügen, Picknicks, Schlittschuhlaufen, das erste Auto, der sechzigste Geburtstag, Bilder von Liebespaaren, Schulklassen, Teenager-Cliquen. Am 23.6.1941 marschierten dort die Deutschen ein. Bis auf 29 starben alle Einwohner unter dem Maschinengewehrfeuer der Exekutionskommandos.

Schmerz, nicht Objekt

Bilder und Filme, Zeugenaussagen von Überlebenden, Sträflingsanzüge aus Auschwitz, 4.000 Schuhe aus Majdanek, ein Güterwaggon, in dem Menschen in die KZs transportiert wurden, Rekonstruktion von Baracken und Verbrennungsöfen – wie kann man all das in ein Museum mit Café und Shop integrieren, ohne die dazugehörige Geschichte zum Objekt zu degradieren?

Die erste Antwort darauf gibt der Name: Es heißt nicht „U.S. Holocaust Museum“, sondern „U.S. Holocaust Memorial Museum“. Bei diesem Projekt, so schreibt Leon Wieseltier, stellvertretender Chefredakteur der US-Zeitschrift New Republic, haben Geschichtsschreibung und Erinnerung Hand in Hand gearbeitet. „Die Überlebenden brachten ihren präzisen Schmerz mit ein, die Wissenschaftler ihre schmerzhafte Präzision.“ Die Ausstellung endet nicht als Museum, sondern als Gedenkstätte, in der „Hall of Remembrance“, einem hexagonalen Raum ohne Stelltafeln oder Ausstellungsgegenstände. Nach allem, was man zuvor gesehen hat und zum Teil nicht mehr ansehen konnte, empfindet man es als Gnade, sich hier hinsetzen und ins Leere starren zu können.

Die zweite Antwort gibt die Architektur: Es ist nicht irgendein Gebäude, das da auf dem Boden der US-Bundesregierung steht, sondern eines, das eigens von dem Architekten James Ingo Freed im Auftrag des „U.S. Holocaust Memorial Council“ entworfen wurde. Freed, der als Neunjähriger mit seiner Familie vor den Nazis ins Exil floh, besuchte 1986 mehrere ehemalige Konzentrationslager, um die Architektur der Endlösung zu studieren. Auf den ersten Blick scheint sich die Fassade in die Reihe der Regierungsgebäude einzupassen. Dann tauchen plötzlich Assoziationen auf, sekundenschnell: Die Museumstürme erinnern an den Eingang nach Auschwitz. In der Innenarchitektur erinnern Stahl, Ziegelsteine und die Betonpfeiler der Stacheldrahtumzäunung an die Vernichtungslager. Er habe das Innere und das Äußere ähnlich gestalten wollen, sagte Freed. „Es soll der Zeit widerstehen.“

Immer wieder wird in der US- Presse gefragt: Warum ein „Holocaust Memorial Museum“ in Washington? Und warum gerade jetzt? So auch auf der Pressekonferenz, die Freed, Museumsdirektor Jeshajahu Weinberg und William Lowenberg, Vizevorsitzender des „U.S. Holocaust Memorial Council“ vor der Eröffnung hielten. Allerdings hat diese Frage eher rhetorischen Charakter und enthält keine Spur jenes betretenen Ungehagens, mit dem sich deutsche Historiker und Politiker zu dem Projekt geäußert haben. Das Projekt ist in der US-amerikanischen Öffentlichkeit ebenso unumstritten wie im US-Kongreß, der es 1980 einstimmig befürwortete. Das wiederum hinderte Weinberg und seine MitarbeiterInnen nicht daran, auch auf die unrühmliche Rolle der Roosevelt- Administration und anderer Regierungen in der Flüchtlingspolitik hinzuweisen, auf die tauben Ohren, mit denen das US-Außenministerium lange Zeit Berichte über die Verfolgung von Juden, Roma, Homosexuellen und politischen Oppositionellen ignorierte.

Warum jetzt? Auf diese Frage antwortet Jeshajahu Weinberg: „Wir haben eine Verpflichtung, der Welt mitzuteilen, was Menschen anderen Menschen antun können.“ Einen angemesseneren Zeitpunkt könne er sich zudem kaum vorstellen. Diese Äußerung muß man nicht nur in bezug auf die Ereignisse in Bosnien verstehen, sondern auch auf die Tendenz in Deutschland, den Nationalsozialismus als eines von vielen Kapiteln in die deutschen Geschichtsbücher einzuebnen. Könnte dies nicht die deutsch-jüdischen Beziehungen beeinflussen? Da sagt er knapp: Aus der Existenz des Museums Schlußfolgerungen über das deutsch-jüdische Verhältnis abzuleiten, sei Sache der Deutschen. „Im übrigen sollte jede größere deutsche Stadt ein solches Museum haben.“

Bundespräsident Richard von Weizsäcker, den der „U.S. Holocaust Memorial Council“ gerne bei der Eröffnungszeremonie gesehen hätte, erklärte in einem Schreiben an den Vorsitzenden Harvey Meyerhoff, das „U.S. Holocaust Memorial Museum“ sei „nicht nur als Erinnerung zum Verständnis der Vergangenheit von entscheidender Bedeutung, es ist zugleich Mahnung für die Zukunft... Vor allem wir Deutsche können und wollen uns der Erinnerungen an die Vergangenheit nicht entziehen.“ Die Bundesregierung allerdings hätte diesen Erinnerungen gerne einen versöhnlicheren Appendix angefügt. Man hätte es begrüßt, so Regierungssprecher Dieter Vogel, „wenn das Museum auch Informationen über den deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus sowie über den erfolgreichen Aufbau eines Landes auf den Prinzipien des Rechtsstaates und der liberalen Demokratie im Nachkriegsdeutschland enthalten hätte“.

Darauf hat sich der „U.S. Holocaust Memorial Council“ nicht eingelassen. Es mag für deutsche Besucher leichter, schonender sein, das „Museum of Tolerance“ in Los Angeles zu durchlaufen. Dort wird versucht, der Hauptzielgruppe von 16- oder 17jährigen SchülerInnen zu erklären, wie die Machtergreifung der Nationalsozialisten möglich war. In szenischen Dialogen und Bühnenbildern wird dargestellt, was in den Köpfen jüdischer und nichtjüdischer Deutscher 1932 und 1933 vorgegangen sein muß. Im Washingtoner „Holocaust Memorial Museum“ ist die Machtergreifung dagegen ganz einfach Fakt. Es werden einfach ihre Folgen gezeigt, in ihrer unfaßbar systematischen Brutalität und Unmenschlichkeit. Wie es dazu kommen konnte, wie Menschen zu solchen Taten fähig sein konnten – das kann und muß sich am Ende jeder selbst in der „Hall of Remembrance“ überlegen.

Für deutsche BesucherInnen fallen diese Fragen etwas spezifischer aus. Wenn in Deutschland manche murren, mit dem „U.S. Holocaust Memorial Museum“ würden „alte Wunden“ wieder aufgerissen, dann liegen sie – unfreiwillig – gar nicht so falsch. Ziel sei es gewesen, ein „Erbe in Stein zu hinterlassen“, sagt William Lowenberg, dessen ganze Familie in Auschwitz ermordet wurde. „Nicht auf einem Film, sondern in Stein.“ Steine verschwinden nicht.

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