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Keine Vorurteile

■ Die Hannover Messe ist für ostdeutsche Unternehmen attraktiv

Hannover (taz) – „Der einzige Grund, warum jemand bei uns kauft ist doch: Wir sind billig“, meint Bernd Zehring, Entwicklungsleiter bei der Leipziger Firma Elektronik Service Weimann. „Die halten uns im Osten doch alle für ein bißchen doof.“ Noch mag er nicht so recht daran glauben, adaß die „Einkaufsoffensive Neue Bundesländer“ seinem Betrieb neue Kunden aus der alten Bundesrepublik beschert.

Aber auch Weimann hat auf der Hannover Messe Termine mit mehreren der 900 westdeutschen Unternehmen vereinbart, die angeblich ein großes Interesse an Geschäftspartnern in Ostdeutschland haben. „Wir sind im Grunde gezwungen, jeden Auftrag anzunehmen, der was mit Strom zu tun hat“, beschreibt er offenherzig das Dilemma seines Betriebs, den 20 ehemalige VEB-ler mit nur 50.000 Mark Startkapital nach der Abwicklung ihres Kombinats gründeten. Langfristig gesehen wäre es natürlich viel sinnvoller, die Fachkenntnisse der KollegInnen zu nutzen und sich zu spezialisieren – aber einen Auftrag auszuschlagen, kann sich Weimann einfach nicht leisten. Und das drücke auch auf die Preise. „Auf Dauer geht das so nicht weiter, weil wir schon jetzt kaum unsere Miete bezahlen können.“

Die Einkaufsoffensive sei keineswegs eine karitative Aktion, betonte Treuhandchefin Birgit Breuel gestern in Hannover immer wieder. Vielmehr solle den ostdeutschen Unternehmen der Zugang zum Westmarkt geebnet werden. 33 Großunternehmen haben angekündigt, daß sie ihr Einkaufsvolumen in den neuen Bundesländern bis 1995 von bisher 9 auf 24 Milliarden Mark steigern wollen; 100 weitere Firmen sollen für dieses „ungewöhnlich erfreuliche Beispiel der Solidarität“, wie sich der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, ausdrückte, gewonnen werden. Der Grund für das immense Handelsgefälle – Waren für 175 Milliarden Mark gingen letztes Jahr in den Osten, in umgekehrter Richtung waren es lediglich 25 Milliarden – sei häufig bei den westdeutschen Einkäufern zu suchen: „Das sind ja auch Menschen. Sie haben ihre alten Kontakte. Und ihre Vorurteile kommen hinzu“, so Necker.

Ex-VW-Chef Hahn glaubt, daß mit dieser Initiative die Zulieferpreise unter Druck geraten. „Davon profitieren wir als ganze Nation, weil es unsere Wettbewerbsfähigkeit steigert“, behauptet er. Schließlich könne sich Europa ja nicht auf Dauer mit mageren Wachstumsraten von null bis drei Prozent bescheiden, während es in Asien acht bis zwölf seien.

Egon Ernst, Geschäftsführer einer Zulieferfabrik für Metallwaren im süddeutschen Oberkirch, hat zwar noch nichts von der neuen Konkurrenz in Ostdeutschland gespürt. „Wenn wir aber ausgequetscht werden und mit den Preisen runtergehen sollen, machen wir nicht mit – notfalls müssen wir Aufträge abgeben“, gibt er sich kämpferisch. Da seine Firma nicht nur Vorprodukte für die rezessionsgeplagte Automobilindustrie, sondern auch Sanitärtechnik und Kleinmotorenteile herstelle, sei sie flexibel.

„Der Tenor bei den meisten Firmen im Westen ist nach wie vor: Laß lieber die Finger vom Osten“, hat Claus-Dieter Biethahn beobachtet, der für den Verlag „Wer liefert was“ das Ohr am Produzenten hat. Aber der ehemalige VW Chef weiß es besser. Mehrere Firmen mußten ihren EinkäuferInnen in Hannover Verstärkung schicken, weil sie dem Ansturm nicht gewachsen waren.

Tatsächlich herrscht in Halle 20 ein großes Gedränge. Kontraproduktiv sei deshalb, wenn die Gewerkschaften „die Kosten ohne Augenmaß in die Höhe treiben und so den Markt verhindern“, befand BDI-Chef Necker, der schon am Vortag „die enorm hohen Lohnstückkosten als das dominierende Hemmnis für einen Strukturwandel“ in Ostdeutschland ausgemacht hatte. Annette Jensen

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