Stadtmitte
: Im Prinzip falsch, aber...

■ Das neue Abgeordnetenhaus im alten Preußischen Landtag

Übermorgen wird eingeweiht, dann spielt das Stabsmusikkorps der Bundeswehr auf, singt ein Kinderchor das Elfenlied aus dem „Sommernachtstraum“, und dieses zwanglose Nebeneinander wird an die zwiespältige Geschichte dieses Ortes erinnern: das Haus der Mendelssohn-Bartholdys in der Nachbarschaft des preußischen Kriegsministeriums, das Dreiklassenwahlrecht im provisorischen Reichstagshaus von 1871 wie im preußischen Abgeordnetenhaus von 1894, Spartakus und die Gründungskonferenz der KPD, 1918, im „Fraktionssaal“ hinter der Kolossalordnung an der Prinz-Albrecht-Straße. 1934 machte Hermann Göring den Landtag zum „Haus der Flieger“ und das Plenum zum Ballsaal. Den Endkampf um die Reichshauptstadt überstand das Gebäude mit Schäden und Scharten. Zur 750-Jahr-Feier Berlins wurden dann die Baudenkmäler zu beiden Seiten der Mauer hergerichtet. Landeskonservator Engel ließ am Gropiusbau die alte Fahnenstange gen Osten aufstecken und neues Pflaster vor das geschlossene Portal legen, die Denkmalpfleger in der Hauptstadt der DDR ließen Steinmetze die Monumentalfassade gen Westen instandsetzen, die doch kein Ostberliner zu sehen bekam. Der „Gründungssaal“ hinter den Säulen wurde als Nationaldenkmal rekonstruiert, und der ausgeräumte Plenarsaal hatte zu dieser Zeit schon ein neues Glasdach.

Am 26.9. 1990 (acht Tage vor der förmlichen Wiedervereinigung der Stadt) brachte der damalige Parlamentspräsident Jürgen Wohlrabe im Abgeordnetenhaus seinen Vorschlag zum Umzug in den Preußischen Landtag ein („meine Erfindung, mein Denkmal“). „Café Größenwahn“, murrte Walter Momper. Tatsächlich ist der Landtag die falsche Adresse und eine Nummer zu groß, zumal ein künftiger Berlin-Brandenburger Landtag wohl in Potsdam tagen wird. Zu spät dämmerte den Abgeordneten, daß unser prächtiges Stadthaus, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Roten Rathaus, der geeignetere Parlamentssitz wäre. Unbeirrt lud Hanna-Renate Laurien, als neue Präsidentin, am 17.6. 1991 zum „symbolischen Spatenstich“ in den besenreinen Plenarsaal an der Niederkirchner-Straße und sprach von der „Demokratie als Bauherr“. Die hatte gerade den Staatsauftrag, ohne weiteren Wettbewerb, freihändig vergeben, vorbei an Architektenkammer und Bauverwaltung Berlins. „Der Bausenator hat gar nichts zu sagen“, krächzte Wohlrabe. Vor dem Gropiusbau ist nun zum zweiten Mal gepflastert, und die Fassade des Preußischen Landtags wurde noch einmal denkmalgepflegt. Das hat wohl auch zum Anstieg der Baukosten beigetragen.

In der Treppenhalle ist wilhelminischer Pomp nun perfekt aufgeputzt. Der „Gründungssaal“ bekam noch einen prächtigen neuen Lampenhorizont unter die Stuckdecke gehängt. Überhaupt wurde hier Zeitgeist mit vielen Leuchten ins Haus getragen. Daneben ist ein konservatorisches Reservat Helmut Engels durch glänzend wiederhergestelltes Dekor erkennbar, nur die furchtbare Dissonanz zwischen Teppich und Tapete erinnert hier an den Tagungsort des Volksgerichtshofes.

Der Plenarsaal verspricht ein Hauptwerk im politischen Raum Berlins zu werden. Die großartige Ruine hat wunderbarerweise den Ausbau überstanden: Das Zeltdach bekam neue Gläser, darunter ein Stahlrohrtragwerk mit abgehängter, verglaster Rasterdecke. Klimatechnik auf neuestem Stand, sichtbare Lüftungskanäle, unsichtbare Fußbodenheizung. Der quadratische Raum wird durch ein gläsernes Prisma überhöht, und aus dem Plenarsaal geht der aufwärtsgerichtete Blick zu jeder Tages- und Nachtzeit in den offenen Himmel – eine wahrhaft kosmische Perspektive. Vor dem schadhaften und unverputzen Gemäuer nehmen Stahlstützen im oberen Teil schallregulierende Lamellen auf, mit Zwischenraum und historischem Durchblick auf die alten, grauen Wände. Die Sitzordnung folgt einem in das Quadrat des Saales gesetzten Zirkelschlag, in dem die Abgeordneten mit Sitz und Tisch auf eingelassene Schienen gesetzt sind, und so, je nach Wahlausgang, problemlos fraktionsweise verschoben werden können.

In seiner klaren, knappen Harmonie erinnert der Raum an die besten Entwürfe der sechziger Jahre. Paul Baumgarten, dessen Werk im Reichstagsgebäude schon fast zerstört ist, würde sich freuen über diesen Plenarsaal. Wenn die Funktion hier einmal der Form folgte und die Abgeordneten unter dem Himmel von Berlin kühlen Kopf und warme Füße behielten, wenn das Parlament so großzügig und so weitsichtig handelte, wie der Plenarsaal aussieht, dann ist alles gut. Ende gut...? Es sieht so aus. Robert Frank

Der Autor ist Architekt und Publizist.