: Kleine funktionale Engel
Neue Länder Neue Wege – Eine Ausstellung über Produkt und Design für den Osten in Potsdam ■ Von Harald Fricke
Noch hat man im tausendjährigen Potsdam Schwierigkeiten mit der Gegenwartsbestimmung: Den Bauzaun am postmodern traktierten Marktplatz zieren Bilder von Kurzens neuer Musical-Marlene, New-Wave-Gesichter in Pastell und ein farbenfrohes Hippie-Plakat zum „Hair“-Revival. Vom Rückwärtsgang in die Geschichte will die Leistungsschau über neue Produktgestaltung in den fünf östlichen Bundesländern, die das Internationale Design Zentrum Berlin (West) im alten Rathaus anbietet, jedoch absehen. Recht unverhohlen wird dieses Bemühen als sozialtherapeutische Zwangsmaßnahme annonciert. Nach wie vor fehlt der unternehmerische Mittelstand Ost, noch immer überwiegt das Bild vom mausgrauen Mechaniker, der in Erwartung eines besseren Plans ungewiß im Vorschul- Kapitalismus herumfummelt. „Die Suche nach vorzeigbaren Erzeugnissen war schwieriger als erwartet“, resümiert lapidar die mit dem Konzept beauftragte Dr. Angela Schönberger. Das jahrzehntelange Handelsembargo und die Hallstein-Doktrin, nach der die Bundesrepublik ihren Alleinvertretungsanspruch bereits 1957 sicherte, werden nur am Rande erwähnt. Statt dessen ist man bestrebt, angemessen ausgewogene Konsumgüter zu honorieren, die der Seelenharmonie des Ostbürgers Genüge leisten, ohne ihn dabei mit den ausbleibenden Geistern aus dem Wirtschaftswunderland zu belasten. Keine Schmuckstücke für Luftschlösser, sondern Gebrauchsgegenstände für ein Leben im Plattenbau sind gefragt. Das gute „Spee“ gibt es noch immer als Vollwaschmittel, wenn auch in den kräftig leuchtenden Designerfarben einer Werbeagentur aus der Schweiz. Nun gilt die vormals barsche Forderung „Dosierung beachten!“ nicht länger. Vielmehr werden fein säuberlich 16 verschiedene „Dosierungsempfehlungen“ – in ein Schaukästchen auf der Packungsrückseite gedruckt – zur freien Wahl gestellt. Das Pulver ist dabei dasselbe geblieben.
Auch die die Treuhand wäscht mit: Sie hat all die häßlichen kleinen Produktionsstätten aus dem Beitrittsgebiet mit Bravour ins „Säurebad der Einheit“ (so Birgit Breuel im Katalog) getaucht und im Anschluß an die Säuberung jene Firmen ans Licht geholt, die den Designerkriterien gehorchen: „praktischer Nutzen, Visualisierung des Gebrauchs, Lebensdauer, ergonomische Anpassung, technische und formale Eigenständigkeit, gestalterische und ästhetische Qualität.“ Eben der erste FCKW/ FKW-freie Öko-Kühlschrank der Firma „Foron“-Haushaltsgeräte, dessen Entwicklung den Betrieb vor der drohenden Liquidation rettete; oder der zusammenfaltbare Kinderschuhkarton der Messe- und Ausstellungsdesignerin Kristiane Nöbel. Der Hersteller ist allerdings ein Kreuzberger Kleinbetrieb aus Westberlin.
Viel hat sich am Ost-Design außer einer Farbgebung jenseits von rotgelbblau nicht verändert. Noch immer dominieren Spritzgießautomaten, Sattelschlepper oder Mahlungsgradprüfer – Industrieware, deren Statik wichtiger ist als die Lackierung. Fernseher heißen weiterhin „Siesta“ und unterscheiden dadurch Freizeit- von Arbeitsgerät. Den „Eurocrypt“-Satelliten- Receiver hat indes schon ein gewitzter Besucher mitgehen lassen, und der in furchterregenden Türkistönen abgetönte Behindertentransporter aus Vollplastik könnte in Rallye-Ausstattung mit stämmiger Hinterachse auf die Rehabilitationszeit von Golf-GTI-Fahrern spekulieren.
Die Stärkung des Ostens wird auch drei Jahre nach der Vereinigung nicht anders als marginal gedacht. Die Produkte konzentrieren sich auf den Handel zwischen Rostock und Zwönitz. Mit ihrem Erscheinungsbild, einer schüchternen „Nivea“-Kopie, wird „Florena“-Cosmetic aus Waldheim, Sachsen, für den westdeutschen Creme-Multi kaum eine ernsthafte deutsch-deutsche Konkurrenz bilden. Dafür befindet sich die Geschirrserie „Easy-Function“, ein sächsischer Ableger der Ceraplan- GmbH aus dem bayerischen Selb, mit behindertenfreundlichen Schnabeltassen auf Erfolgskurs. Die Becher und Teekannen haben funktionelle Schräghenkel mit Daumenauflage und sehen wie kleine funktionale Engel aus. Gerade auf dem Gebiet der Glas- oder Porzellangestaltung sticht bei den Designern aus der ehemaligen DDR ihre Bauhaus- Tradition hervor. Doch ansonsten ist die Gestaltung weniger an einer überdachten Ästhetik orientiert, sondern vielmehr vom massenhaften Einsatz der Produkte abhängig, und darin gibt der Westen die Strategien vor, von der „Club Cola“ bis zur Zigarette.
Nachdem Phillip Morris die zum VEB Kombinat Tabak gehörenden Marken „Karo“ und „f6“ schon 1990 als Dresdener Tochtergesellschaft ins Warensortiment aufgenommen hatte, wurde für das neue Design die Werbeagentur Michael Conrad & Leo Burnett GmbH, Frankfurt/Main, bemüht. Dort kam man bald zu der Erkenntnis, daß der Raucher aus der DDR ein eigenes Wesen hat. Also wurde das positive Image mit Rücksicht auf die traditionelle Raucherschaft nicht verändert, was im Bereich der Gestaltung eine merkwürdige Innovation darstellen muß: Kreativität als Sein- Lassen, frei nach Sloterdijk. Die gewendete Karo-Werbung hebt nun „auf den Kultcharakter der Zigarette bei Andersdenkenden ab“, jeder Lungenzug atmet auch weiterhin die Höhenluft der Dissidenz. Ein solcher Geniestreich gelan der Reynolds Tobacco GmbH hingegen nicht. Bereits zu DDR- Zeiten galt die „Club“ als Zigarette für höhere Einkommensschichten, der Frauenanteil lag über der Hälfte. Grund genug, zumindest die Farbe der Verpackung aufzufrischen: Inzwischen leuchtet das Päckchen leicht abgewandelt blauweiß-, mattfliedern- oder lindgrün-lackiert wie ein Zweitwagen und verkauft sich im Osten besser als „Lux“ und „Peter Stuyvesant“. Nicht nur das Bier, auch der Teer von hier hat seine Seelenwanderung überlebt. Er mußte nur genügend Kontrollinstanzen, Marktforschungsanalysen und Käuferprognosen durchlaufen, um zu bleiben, wie er ist: west-östlich. Andere sind bei dieser Berg- und Talfahrt auf der Couch gelandet.
Doch das Prunkstück der Ausstellung in Sachen meisterliche Umgestaltung bildet die Reformation der Minol-Tankstellen, die binnen zwei Jahren von der notgedrungen frequentierten, rußigschwarzen und ölverschmierten Zapfhölle zum makellosen Erlebnisrastplatz am Rande der Autobahnen geformt wurde. Mit rundum erneuertem corporate design präsentiert die Ausstellung ein Spielzeugmodell in mildem Pink und saftigem Aubergine. Die Miniatur läßt den Autonarren im Designer durchblitzen: Gleich zwei Ferraris stauen sich neben anderen Turbo-Ridern von „Mattel“ an Zapfsäule und Waschstraße, dazu posieren schlaksige Plastillin- Jeanstypen aus den siebziger Jahren vor ihren Sportwagen, als hätte ein Super-8-Filmer das Set für „Die Zwei“ nachgestellt. Nur der metallic schwarze Mercedes tankt nicht, sondern ist am Rande auf einem Extra-Parkplatz abgestellt. Wahrscheinlich gehört er einem Aufsichtsrat, der den Entwurf abnehmen mußte.
Mittelständische Unternehmen wird der musealisierte Benzinhandel kaum motivieren – oder welcher Kleinwagenbesitzer gründet schon eine Tankstellenkette? Am Bahnhof Potsdam geht der Trend zur Imbißbude – multikulturell mit chinesischen Nudelgerichten und Darjeeling-Tee anstelle von Pommes mit Mayo.
Bis 1.5. am Alten Markt, Potsdam; 11.5. - 6.6. ega-Gelände, Cyriaksburg/Erfurt; 21.8. - 25.8. Messe Frankfurt, Frankfurt am Main.
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