Die Lösung wäre ein Gruppenantrag

■ Ein SPD-Entwurf zur Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft kommt in den Bundestag / Eine Chance gegen den Widerstand der Unions-Mehrheit haben aber solche parteigebundenen Vorstöße nicht / Die...

Eigentlich könnte alles ganz schnell gehen. Heute wird im Bundestag ein Gesetz in die erste Lesung gebracht, mit dem die doppelte Staatsbürgerschaft möglich gemacht und das bisherige Staatsbürgerschaftsrecht für Einbürgerungen geöffnet werden soll. Da nahezu alle Abgeordneten der Opposition (SPD, Bündnis 90 und PDS) für eine solche Änderung sind, die FDP-Fraktion mehrheitlich ebenfalls dafür ist und selbst viele CDU-Abgeordnete den Status quo für unbefriedigend halten, könnten diese Gesetze in wenigen Wochen gültig sein.

Die notwendige Mehrheit der Stimmen ist jedenfalls vorhanden. Nach der ersten Lesung gibt es noch eine Beratungsrunde in den zuständigen Ausschüssen, man verständigt sich über Detailprobleme, und noch vor der Sommerpause wäre die Sache mit der zweiten und dritten Lesung im Bundestag erledigt. Soweit die parlamentarische Fiktion.

Tatsächlich ist es natürlich ganz anders, und um die dringend notwendigen Änderungen zugunsten von Immigranten steht es denkbar schlecht. Richtig ist, ein entsprechender Gesetzentwurf der SPD- Fraktion, den ihre rechtspolitische Sprecherin Hertha Däubler-Gmelin verantwortet, kommt heute in den Bundestag. Dieser Entwurf ist einer von dreien, die zur Zeit in der Diskussion sind, und nach Meinung von Immigrantengruppen der schlechteste unter ihnen. Um möglichen Einwänden aus der eigenen rechten Ecke und der CDU- Fraktion bereits im Vorfeld zu begegnen, hat Frau Däubler-Gmelin die Aufweichung des Prinzips „Jus sanguinis“ (Deutscher wird man allein durch Abstammung von deutschen Eltern – Blutrecht) nur ganz vorsichtig angetastet. Das sogenannte „Jus soli“ (jeder kann Staatsbürger werden, der in dem Land geboren wurde – Bodenrecht) soll nur für solche Einwandererkinder gelten, bei denen mindestens ein Elternteil schon in der Bundesrepublik geboren wurde. Das würde lediglich eine Erleichterung für die dritte Generation bedeuten.

Trotz dieser Zurückhaltung hat der Entwurf keinerlei Chance, Gesetz zu werden. Schon die reine Parlamentsmechanik verhindert, daß ein Gesetzesvorschlag der Oppositionspartei SPD mit den Stimmen der Regierungsfraktionen verabschiedet wird. SPD-intern geht man denn auch folgerichtig davon aus, daß mit der Debatte um den Gesetzentwurf vor allem die Unbeweglichkeit der CDU vorgeführt werden soll.

Probleme mit der Beweglichkeit hat auch die FDP. Ihr Fraktionsmitglied Cornelia Schmalz- Jacobsen, die gleichzeitig Ausländerbeauftragte der Bundesregierung ist, hat einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der inhaltlich über den von Däubler-Gmelin hinausgeht. Schmalz-Jacobsen will die doppelte Staatsangehörigkeit von der Ausnahme zur Regel machen und das Staatsbürgerschaftsrecht aus dem Jahr 1913 so ändern, daß das „Bodenrecht“ gleichrangig neben dem „Blutrecht“ anerkannt wird. Damit entspricht sie langjährigen Forderungen, die immer wieder an die Ausländerbeauftragten von Bund und Ländern herangetragen worden sind und die dem Status der Bundesrepublik als de- facto-Einwanderungsland pragmatisch entsprechen.

Keine Chance für den SPD-Alleingang

Wiewohl in der Sache nicht abgeneigt, tut sich die FDP-Fraktion schwer damit, sich den Vorschlag ihrer Kollegin zu eigen zu machen. Im Prinzip ja, aber ... Im Innen- und Rechtsarbeitskreis der Fraktion sind noch etliche „Detailfragen zu klären“, so lautet die öffentliche Rückzugsposition. Intern ist natürlich klar, daß auch die Abgeordneten, die für den Entwurf sind, nicht wissen, wie sie die CDU- Fraktion dafür gewinnen sollen. „Koalitionspolitisch unmöglich“, heißt die Diagnose, das Konfliktpotential sei für diese Legislaturperiode bereits ausgereizt. Eine Fraktionssitzung in dieser Woche sollte sich noch einmal mit dem Problem befassen.

Bündnis 90 und Grüne haben im Gegensatz zu SPD und Ausländerbeauftragten vorgeschlagen, über eine pragmatische Lösung hinaus den Artikel 116 des Grundgesetzes, der definiert, wer Deutscher ist, neu zu fassen und ein neues Bürgerrecht zu entwickeln, das einer modernen, multiethnischen Gesellschaft entspricht. Als sie diesen Vorschlag einbrachten, gingen die Bürgerrechtler aus dem Osten noch davon aus, daß es möglich sein müßte, im Zuge der Vereinigung in einer grundsätzlichen Debatte über die Verfassung auch so etwas diskutieren zu können. Mittlerweile ist klar, daß die Verfassungskommission nichts bewegen wird und daß eine pragmatische Änderung, wie sie die Ausländerbeauftragte anstrebt, in dieser Legislaturperiode das maximal Erreichbare ist.

Vorbild: Der Gruppen- antrag zum § 218

In der längerfristigen Perspektive macht sich das Bündnis 90 deshalb für eine Initiative parteiunabhängiger ImmigrantInnen aus Kunst, Gewerkschaften und Universitäten stark, die jüngst in einem offenen Brief an alle Abgeordneten des Bundestages appelliert haben, durch einen Gruppenantrag fraktionsübergreifend dem „Jus soli“ zum Durchbruch zu verhelfen. Kurzfristig fordern die Unterzeichner die doppelte Staatsangehörigkeit, um schnell auch zu spürbaren Erleichterungen für de-facto-Einwanderer zu kommen.

Tatsächlich wäre ein sogenannter Gruppenantrag nach dem Vorbild der Veränderung des § 218 die einzige Möglichkeit, parlamentarisch in dieser Legislaturperiode noch etwas zu erreichen. Der SPD- Abgeordnete Freimut Duve hat deshalb bereits Ende letzten Jahres in den verschiedenen Fraktionen vorgefühlt, um just einen solchen Gruppenantrag zu initiieren. Möglichst ohne großes Aufsehen – „so etwas muß man in Einzelgesprächen und in aller Stille vorbereiten“ – hatte er bereits eine Reihe von Zusagen gesammelt. Doch obwohl es auch aus der CDU Interessenten für ein solches Anliegen gab, entschied sich die SPD- Fraktionsspitze für ein anderes Vorgehen. Jeder Fraktion ihr eigener Antrag.

Wenn es nicht durch starken öffentlichen Druck, unter anderem eben den einer erfolgreichen Unterschriftenkampagne, doch noch zu einer parteiübergreifenden Initiative kommt, die die Mehrheiten im Bundestag ausschöpft, indem sie den Fraktionszwang umgeht, wird es eine Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts weg von der anachronistischen Blutsbande sobald nicht geben. Jürgen Gottschlich