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Suppenküchen statt Dritte-Welt-Arbeit

■ Die entwicklungspolitische Arbeit im Osten steht vor dem Aus / Einhundert ABM-Stellen in Dritte-Welt-Projekten in Ostberlin werden nicht verlängert

Berlin. Von 17 Uhr bis in die Nacht ist das Eine-Welt-Zentrum in der Winsstraße im Bezirk Prenzlauer Berg Anlaufpunkt für interessierte Bürger, ratsuchende Ausländer und Leute, die Produkte aus gerechtem Handel kaufen wollen. Die Adresse hat sich herumgesprochen, die Leute aus der Umgebung haben den Laden angenommen. Doch in absehbarer Zeit wird die Jalousie wohl nur noch an wenigen Tagen in der Woche hochgezogen werden. Der Grund: auslaufende ABM-Stellen. So wie dem Baobab Infoladen Eine Welt e.V. geht es derzeit fast allen Gruppen und Vereinen, die im Osten Deutschlands Nord-Süd-Arbeit leisten. Mehr als 25 Nicht-Regierungs-Organisationen in allen neuen Bundesländern meldeten in einer Umfrage des Entwicklungspolitischen Runden Tisches das bevorstehende Ende ihrer hauptamtlichen Arbeit. Im Gegensatz zu den Aufschreien, die den Zusammenbruch sozialer und kultureller ABM-Projekte im Osten Deutschlands begleiten, vollzieht sich das Sterben der Dritte-Welt-Gruppen eher leise.

Weder Politiker noch Medien erheben ihre Stimme, wenn die entwicklungspolitische Landschaft in den fünf neuen Ländern und Ostberlin quantitativ und qualitativ auf einen Bruchteil ihrer bisherigen Aktivitäten zu schrumpfen droht. Viele dieser Gruppen haben Arbeitsschwerpunkte im Ausland, zum Teil in den Ländern, die der Zusammenbruch des Systems in der DDR hart getroffen hat, wie Vietnam, Kambodscha, Angola, Mosambik.

Die Verpflichtung der Bundesregierung, daß diese Länder nicht unter der deutschen Vereinigung leiden sollten, wird vor allem von ostdeutschen Gruppen sehr ernst genommen. Zudem leisten sie in ihren Städten und Gemeinden intensive Informations- und Bildungsarbeit, über deren Notwendigkeit spätestens seit den Ereignissen in Hoyerswerda nicht mehr diskutiert werden muß.

Die aktive Arbeit konnten die meisten ostdeutschen Vereine bisher auf Grundlage von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen leisten. Andere Möglichkeiten gab es zur Finanzierung dieser Arbeit im Osten nicht. Und auch heute ist die Situation nicht viel anders. Mehr als 95 Stellen laufen 1993 aus. Die Chance für Neubewilligungen sehen angesichts der knappen ABM- Mittel sehr schlecht aus. Die letzte Entscheidung über Anträge fällen die Arbeitsämter in den Stadtbezirken und Kommunen, und für die ist die „Suppenküche“ oder die Suchtberatung allemal wichtiger als der Dritte-Welt-Laden oder etwa die Projektarbeit in einem angolanischen Dorf. „Wir werden unsere Arbeit quantitativ und qualitativ sehr einschränken müssen“, sagt Katrin Buhl von OIKOS, „einiges kann man sicher ehrenamtlich weiterführen. Doch bei aller Bereitschaft zur Selbstausbeutung, die bei unserer Arbeit auch bisher eine große Rolle spielte, müssen wir von irgend etwas leben. Das heißt, wir müssen uns einen Job suchen. Wirklich anspruchsvolle Nord-Süd-Arbeit aber, die über den Bau eines Brunnens hier und die Finanzierung einer Maismühle dort hinausgeht, bedarf eines Engagements, das nebenberuflich nicht aufzubringen ist.“ Die Möglichkeit, die Arbeit der Vereine über Spenden zu finanzieren, hält Katrin Buhl für illusorisch. In den alten Bundesländern konnten die Organisationen über viele Jahre ein Spendensystem aufbauen, daß sie heute in die Lage versetzt, unabhängig und professionell zu arbeiten. Diese Chance haben die jungen ostdeutschen Gruppen kaum, nicht zuletzt deshalb, weil sich die Spendenbereitschaft der Neubundesbürger natürlich vorrangig auf die Organisationen mit den bekannten Namen richtet. Doch jene werden wohl nicht in die Städte und Gemeinden der ehemaligen DDR gehen, um beispielsweise die Bildungsarbeit vor Ort weiterzuführen, die nun abzubrechen droht.

„Deshalb“, so Katrin Buhl, „müßte der Staat eigentlich interessiert sein, unsere Arbeit, die doch von öffentlichem Interesse ist und für die es gegenwärtig kaum andere Finanzierungsmöglichkeiten gibt, zu fördern und zu erhalten.“

Das sieht Dr. Jürgen Varnhorn von der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit beim Berliner Senat anders. Er bestätigt das öffentliche Interesse an der Arbeit der entwicklungspolitischen Gruppen. Doch eine Möglichkeit und Notwendigkeit zur institutionellen Förderung sieht er nicht. „Die Vereine im Westen“, sagt er, „legen sogar Wert darauf, daß sie in ihrer Arbeit nicht zu stark vom Staat abhängen, eben Nicht-Regierungs- Organisationen sind. Die ostdeutschen Gruppen stehen jetzt ganz einfach vor der Situation, die Projektarbeit ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit anzupassen.“ Daß die Verwaltung von Vorhaben im Ausland auch ehrenamtlich möglich ist, zeige die Praxis in den alten Bundesländern, wo es ja auch viele kleinere Initiativen gibt. „Anders“, so Jürgen Varnhorn, „ist die Situation bei der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, vor allem an den Schulen. Diese läßt sich in der Tat nicht am Wochenende oder abends realisieren. Für solche Vorhaben ist es angebracht, sich um staatliche Förderung zu bemühen.“ Doch diese ist, zumindest über die Arbeitsämter, kaum noch zu erlangen. Erfahrungen vom eingangs erwähnten Baobab-Infoladen besagen, daß das zuständige Amt dessen Arbeit nicht für arbeitsmarktpolitisch sinnvoll hält.

Eine Chance könnte der Paragraph 249h des Arbeitsförderungsgesetzes bieten, der die Förderung von Projekten der Sozial-, Jugend- und Umweltarbeit in den fünf neuen Ländern vorsieht. Inwieweit sich die Vorhaben der Dritte- Welt-Gruppen in dieses Spektrum einpassen lassen, wird die Bewilligungspraxis zeigen. Doch das wird die Not der Vereine nur teilweise entschärfen. Die Suche nach anderen Finanzierungswegen muß schnell Erfolg haben, zuviel steht auf dem Spiel im Osten. Gefragt sind aber auch die Politiker im Osten, denen die Bedeutung dieser Arbeit wohl nicht in jedem Fall wirklich klar ist. Diesen Eindruck zumindest hatten Teilnehmer eines Treffens von Nord-Süd-Initiativen mit Vertretern des Landtages von Brandenburg. Auf jeden Fall muß die politische Lobbyarbeit als eine entscheidende Größe der Nord-Süd-Arbeit in Deutschland von den Gruppen verstärkt werden. Gelingt es nicht, zumindest einen Teil der ostdeutschen Vereine und ihrer Projekte am Leben zu erhalten, profitieren vielleicht die großen Organisationen der alten Bundesländer, denen eine potentielle Spendenkonkurrenz vom Hals geschafft ist. Verlierer sind aber nicht nur die Leute im Osten. Vera Buerschaper

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