■ Theaterdonner: Karadžić paraphiert den Vance-Owen-Plan: Bosnien-Herzegowina ist nicht mehr
Gelang gestern nach fast neunmonatigen Verhandlungen endlich der große „Durchbruch“, wie Griechenlands Regierungschef Mitsotakis als Gastgeber der Athener Bosnien-Konferenz herauszustreichen suchte? Tatsächlich bedeutet die Paraphierung des Vance-Owen-Plans durch den bosnischen Serbenführer Karadžić zunächst einmal nur weiteren Zeitgewinn bis Mittwoch, wenn das selbsternannte „Parlament“ der bosnischen Serben zum wiederholten Male über den Plan beraten und über eine endgültige Unterzeichnung entscheiden soll. 72 Stunden, in denen die Serben ihr letztes noch unerreichtes Ziel vielleicht doch noch mit militärischen Mitteln durchsetzen können: die Schaffung des Landkorridors in Nordbosnien, der die Verbindung herstellt von Serbiens Westgrenze bis in die kroatische Krajina. Folgerichtig gehen die serbischen Angriffe auf Goražde, Brčko und andere strategisch wichtige Punkte mit unverminderter Härte weiter. Auch für die Regierung in Belgrad, die laut westlichen Geheimdiensten in den letzten Wochen bereits 80 vom Irak bezogene Abschußrampen für Scud-Raketen in Stellung gebracht hat, bedeutet das Ergebnis der Athener Konferenz Zeitgewinn zur weiteren Vorbereitung auf Luftangriffe gegen serbische Ziele in Bosnien wie in Serbien.
Die Gespräche über derartige Luftangriffe sowie über Waffenlieferungen an die Muslime, die US-Außenminister Christopher ab heute in mehreren europäischen Hauptstädten führen will, werden durch Karadžićs Athener Paraphe zusätzlich verkompliziert. Nicht nur die Regierung in London, die bereits vor Karadžićs gestrigem Schritt erwog, derartige Maßnahmen im UNO-Sicherheitsrat durch das (von ihr seit UNO-Gründung noch nie eingesetzte) Mittel des Vetos zu verhindern, wird auf einen Aufschub konkreter Entscheidungen drängen. In Moskau dürfte Christopher mit der schon letzte Woche vom russichen Parlament fast einstimmig beschlossenen Forderung konfrontiert werden, die Wirtschaftssanktionen gegen Serbien jetzt aufzuheben. Zumal die drei Präsidenten Serbiens, Montenegros und Rest-Jugoslawiens während der Athener Wochenendkonferenz stärker als je zuvor den Eindruck vermitteln konnten, sie hätten Karadžić ernsthaft zur Annahme des Vance-Owen-Plans gedrängt. Taten sie dies unter dem Druck der verschärften Wirtschaftssanktionen und – wie Christopher vor seinem Abflug aus Washington kühn behauptete – aus Furcht vor etwaigen Luftangriffen tatsächlich? Oder spielten die drei Präsidenten gemeinsam mit Karadžić wie so oft in den letzten neun Monaten auch in Athen ein brillantes Spiel mit verteilten Rollen? Was zählt, ist der Eindruck. Sollte das „Parlament“ der bosnischen Serben am Mittwoch (oder mit einigen weiteren Tagen Verzögerung) dann der Unterzeichnung des Vance- Owen-Plans tatsächlich zustimmen, wäre die Forderung formal erfüllt, mit der der UNO-Sicherheitsrat die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen begründete. Vorausgesetzt, Karadžić hat noch das volle Kommando über seine Truppen, werden die Serben auch ihre aktive Kriegführung einstellen und damit den ersten Umsetzungsschritt des Vance-Owen-Planes, einen Waffenstillstand, mitmachen. Doch schon Schritt zwei, den Abzug von rund 35 Prozent des von ihnen besetzt gehaltenen Territoriums, dürften die bosnischen Serben verweigern. Sie hierzu zu zwingen hat die internationale Staatengemeinschaft kein militärisches, geschweige denn ein politisches Konzept. Noch ist sie bereit, die hierfür notwendigen personellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Bosnien-Herzegowina existiert nicht mehr. Die Dreiteilung des Staates auf Kosten seiner muslimischen Bewohner ist in Bonn, Paris, London, Washington und Moskau längst akzeptiert. Und auch in den Hauptstädten der islamischen Staaten. Das Athener Gipfeltreffen war nur der letzte Akt eines monatelangen Theaters zur Verschleierung dieser Tatsache. Andreas Zumach
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