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„Dann stehen wir in Europa ganz allein“

■ In zwei Wochen stimmt Dänemark erneut über die Maastrichter EG-Verträge ab

Kopenhagen (taz) – Gerade 25 ZuhörerInnen verlieren sich im 400-Plätze-Saal im Kopenhagener Haus der Industrie. Freibier und Mineralwasser bleiben stehen, Außenminister Niels Helveg Petersen ist 20 Minuten verspätet und hat angesichts des geringen Interesses plötzlich auch nur noch eine Stunde Zeit. Davon, daß Europa nach Dänemark blickt, ist im Lande selbst wenig zu spüren.

Vor dem zweiten Referendum am 18. Mai über die Maastrichter EG-Verträge findet die Diskussion vorwiegend in den Medien statt. Dort dürfen sich die LeserbriefschreiberInnen ausführlich austoben. Jedes Blatt, das etwas auf sich hält, versucht mindestens eine Seite täglich mit redaktionellen Beiträgen zu Maastricht zu füllen. Wobei sich 44 von 45 Zeitungen eindeutig auf ein „Ja“ festgelegt haben.

Am 2. Juni 1992 hatten die DänInnen mit einer hauchdünnen Mehrheit gegen die Maastrichter Verträge zur Europäischen Union gestimmt. Jetzt pendeln die Ja-SagerInnen in den Umfragen bei stolzen 50 Prozent, während die Nein- Seite knapp an der 30-Prozent- Marke liegt. Doch die Regierenden wissen, warum sie unruhig sein müssen: Die DänInnen haben MeinungsforscherInnen mit schöner Regelmäßigkeit überlistet.

Daß sich hinter den Sonderregelungen, die nach dem dänischen Nein auf dem Edinburgher EG- Gipfel im Dezember 1992 zugunsten Dänemarks vereinbart wurden, nichts anderes als das alte Maastricht-Gespenst verbirgt – davon sind viele DänInnen überzeugt. So mußte sich auch der gerade drei Monate im Amt befindliche sozialdemokratische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen diesen Vorwurf anhören, als er in seinem Heimatort Esbjerg vor immerhin 500 ZuschauerInnen auftrat. „Gerade hier“, sagte er, habe er sich „etwas weniger Opposition erhofft.“ Es waren vor allem Nein-SagerInnen gekommen.

„Zweifelnde Frauen“ als Zünglein an der Waage

Besonders unberechenbar ist der seit der Jahreswende unbewegliche kompakte Block der ZweiflerInnen. Bleiben sie am 18. Mai zu Hause, hat Maastricht gewonnen. Lassen sie sich wieder aktivieren, wackelt die Europäische Union.

Frauenforscherin Elisabeth Möller-Jensen ist nicht überrascht, daß die „zweifelnden Frauen“ das Zünglein an der Waage spielen. „Nur Idioten zweifeln nicht. Frauen sind einfach offener. Sie fühlen sich sowieso innerhalb des politischen Systems eher fremd und häufiger überfahren, weil es eine männliche Domäne ist. Und diese Dominanz wird deutlicher, je zentralistischer die Strukturen sind.“ Trotzdem glaubt Möller- Jensen, daß Maastricht diesmal eine Chance hat. Der Grund: der nationale Kompromiß der großen Koalition der Parlamentsparteien von rechts bis ganz links, die die Edinburgh-Sonderbedingungen mitformuliert haben und jetzt ein „Ja“ empfehlen: „Das macht ganz einfach Eindruck, ganz unabhängig vom Geschlecht.“

Jan Möller, Lehrer, Wähler der „Sozialistischen Volkspartei“ und Zuhörer bei Nyrup Rasmussen in Esbjerg, hat im letzten Jahr mit „Nein“ gestimmt. Daß seine Partei, die damals für ein „Nein“ kämpfte, sich jetzt in den Block der Ja-Parteien eingereiht hat, ist für Jan Möller wichtig, dennoch ist er unsicher: „Ich drehe mich noch. Eigentlich habe ich mit Brüssel gar nichts am Hut. Am besten, wir wären gar nicht in der EG. Aber seit dem Fall der Berliner Mauer sehe ich Probleme in Europa aufziehen, bei denen ich ganz froh bin, daß es sie gibt. Auf die Fußnoten von Edinburgh gebe ich nichts. In fünf Jahren sitzen wir mit den anderen im Maastricht-Topf. Können wir aber ganz allein stehen, wo doch auch eine verstärkte nordische Zusammenarbeit nur eine Illusion zu sein scheint?“

Keine Angstmacherei mehr, sondern einfach Unsicherheit

Die Furcht, „allein“ oder allenfalls in der Gesellschaft Großbritanniens zu bleiben, ist das herausragende Motiv bei den Ja-SagerInnen. Auch die geballte Kraft von 95 Prozent des Parlaments und 98 Prozent der Medien bietet keinen überzeugenden Grund für ein „Ja“ zur Union: weder wirtschaftliche, noch politische Vorteile gegenüber der jetzigen Form der EG- Mitgliedschaft spielen in der Kampagne eine Rolle. Die Ja-Seite ist klüger geworden. Angstmacherei – „Wir werden aus der EG rausgeworfen“ – ist nicht mehr angesagt. Vielmehr wird das Volk im unklaren gelassen, was eigentlich nach einem zweiten „Nein“ passiert. Und das scheint nachhaltiger zu verunsichern als alle Schreckensgemälde.

Das Gros der Nein-SagerInnen – über ein Drittel hält dies für entscheidend bei der Stimmabgabe – will an Brüssel nicht den verlangten Teil an Souveränität und nationaler Identität abgeben. Auch im vergangenen Juni war die Angst der DänInnen, untergebuttert zu werden, die treibende Kraft hinter dem „Nein“. Die „Juni-Bewegung“ und die anderen Gruppen der jetzigen Nein-Seite legen den Schwerpunkt ihrer Kampagne darauf, hier bruchlos wieder anzuknüpfen. Lars Rahbech, Sprecher der „Junibewegung“: „Unsere Botschaft ist klar und eindeutig. Ihr stimmt über das gleiche ab wie am 2. Juni.“

Im Vergleich zur Stimmungslage vor dem ersten Maastricht- Referendum hat sich Eines grundsätzliches geändert: Ein von der EG unabhängiger „skandinavischer Block“ ist durch den Run Schwedens, Finnlands und Norwegens Richtung EG unwahrscheinlicher geworden. „Wenn ich wenigstens wüßte, was die Bevölkerungen in Schweden und Norwegen in den dortigen Volksabstimmungen zum EG-Beitritt sagen werden“, seufzt eine Diskussionsteilnehmerin in Esbjerg. „Gehen die mit, stehen wir in Europa ja ganz allein.“ Reinhard Wolff

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