: Wirtschaftsforscher: Rezession tief und lange
■ Wende am Arbeitsmarkt Mitte 1994 / Prognos erwartet 6,7 Millionen Arbeitslose
Berlin (dpa) – Die Rezession in Westdeutschland wird nach Ansicht der sechs führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute tiefer sein und länger dauern als erwartet. Erst im Winter sei mit einer Wende zum Besseren zu rechnen, meinten die Institute in ihrem gemeinsamen Frühjahrsgutachten, das gestern in Bonn vorgelegt wurde. Die Institute rechnen mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr um real 1,5 Prozent. Einem Minus von 2,0 Prozent im Westen stehe ein Plus von 5,5 Prozent in den neuen Ländern gegenüber.
Auf dem Arbeitsmarkt werde sich die Wende zum Besseren frühestens Mitte 1994 bemerkbar machen. 1993 werde die Arbeitslosigkeit in Deutschland noch um knapp 600.000 auf den Rekordwert von 3,5 Millionen steigen. In Westdeutschland werde sie sich um 500.000 auf 2,3 Millionen erhöhen, im Osten um 80.000 auf 1,25 Millionen. Das Baseler Prognos- Institut erwartet in einer Langfristprognose 6,7 Millionen Arbeitslose für das Jahr 1995. Mit einem Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland sei selbst nach einer konjunkturellen Wende im kommenden Jahr nicht zu rechnen.
Die Konjunkturforscher kritisierten gestern in Bonn die Solidarpaktbeschlüsse von Bund und Ländern heftig. Die geplanten weiteren Abgabenerhöhungen seien schädlich für die darniederliegende Konjunktur. Notwendig für den Aufschwung sei eine deutliche Zinssenkung, womit dann zuerst die Baukonjunktur angekurbelt werde, meinen die Institute. Sie appellierten an die Bundesbank, die von ihr mitbestimmten Geldmarktzinsen bis 1994 um zwei Prozent zu drücken.
Nachhaltig forderten die Institute eine Wende in der ostdeutschen Tarifpolitik. „Neuabschlüsse sind unumgänglich“, erklärte Klaus-Werner Schatz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Selbst ein Abschluß von neun Prozent sei für die existenzbedrohten ostdeutschen Metallbetriebe eigentlich zu hoch und werde zu weiteren Entlassungen führen. Bundeswirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) hieb gestern in die gleiche Kerbe und forderte einen Kurswechsel in der Lohnpolitik für Ostdeutschland. In Westdeutschland sei die Tarifpolitik jetzt auf eine gemäßigtere Linie eingeschwenkt. In Ostdeutschland stehe der „dringend notwendige Kurswechsel“ in zentralen Bereichen hingegen noch aus. Bei der Preissteigerung gaben die Institute hingegen Entwarnung. Sie könnte im Westen von über vier Prozent auf etwa zwei Prozent fallen. In Ostdeutschland bleibe sie bei 8,5 Prozent.
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