: Kein Fall von Gewissensnot
■ Gericht: NDR darf abmahnen, wenn "Republikaner"-Wahlwerbung verweigert wird
„Propaganda für die ,Republikaner‘? Nein danke!“ Den Rechtsradikalen eine klare Absage zu erteilen, ist demokratisch gesonnenen BürgerInnen selbstverständlich. Empfindet hingegen eine Beschäftigte des öffentlich- rechtlichen NDR in Hamburg genauso und weigert sich, an der Verbreitung rechtsradikaler Propaganda in Form von Wahlspots mitzuwirken, darf sie dafür bestraft werden – zum Beispiel mit der Drohung, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Das entschied das Hamburger Landesarbeitsgericht am Dienstag in zweiter Instanz.
Vor zwei Jahren sah sich die Redaktionsassistentin Astrid Dieckmann-Schrader im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl vom 2. Juni genötigt, ihren Chefs bei der „Hamburg-Welle“ mitzuteilen, daß sie es mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren könne, „zur Verbreitung rechtsradikaler, faschistischer und rassistischer Hetzparolen beizutragen“. Weil die „Hamburger Liste für Ausländerstopp“, die „Nationale Liste“, die „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ und die „Republikaner“ Parteien seien, die „Menschen diskriminieren und verleumden, Haß und Vorurteile gegen MitbürgerInnen schüren“, könne jedenfalls sie nicht daran mitwirken, daß deren Wahlspots zur Sendung kämen. Gerade erst, in der Nacht zum 3. Mai 1991, hatten der Zittauer „Republikaner“-Chef René Druschke und Gefolgsleute ein Haus überfallen, in dem 40 Kinder aus Tschernobyl übernachteten.
Doch die Gewissensnot der NDR-Assistentin war für den damaligen Chefredakteur Wolfgang Bombosch nichts anderes als ein Fall von Arbeitsverweigerung. Er drohte der ehemalige Personalratsvorsitzenden mit Konsequenzen. Andernfalls „könnte der umfassende Programmauftrag nicht erfüllt werden“. Was fürs eigene Programm gelte, so Bombosch, „muß erst recht für Wahlspots gelten, für deren Inhalt der NDR nicht verantwortlich ist“.
Mit dem Propaganda-Spot der „Republikaner“ wurde das Exemtel statuiert. Dieckmann-Schrader weigerte sich, Hand anzulegen, und wurde umgehend abgemahnt. Für den Fall, daß sich derartige „Verfehlungen“ wiederholten, drohte ihr die NDR-Personalabteilung mit Kündigung. Seither sucht die NDR-Assistentin ihr Recht vor Gericht.
Während das NDR-Landesfunkhaus Kiel und Radio Bremen bei den zwischenzeitlichen Landtagswahlen in ihren Bundesländern ihren Medien-Werkern Gewissenskonflikte ersparten, indem man bei Bedarf stillschweigend die Dienstpläne änderte, fanden sich in Hamburg weder der neue Landesfunkhaus-Direktor Winfried Scharlau noch der NDR-Intendant und Jurist Jobst Plog dazu bereit, die einmal eingeschlagene Linie zu revidieren.
Plog brachte es gleichzeitig fertig, die Belegschaft zur Beteiligung an der Hamburger Lichterkette aufzufordern, weil „nicht nur die Programme des NDR, sondern auch die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dahinterstehen, ein Zeichen setzen wollten gegen Ausländerhaß und Rassismus“. Scharlau verschanzt sich hinter dem Bundesverfassungsgericht. Solange das nicht durch ein Verbot der Rechtsextremisten eine Rechtsgrundlage geschaffen habe, gebe es keinerlei Kompromiß: „Recht ist auch formales Recht. Da kann man sich nicht ausklinken.“
NDR-Rechtsanwalt Wolfgang Matz geißelte den zivilen Ungehorsam der Redaktionsassistentin nicht nur als „unzumutbar“, er stellt die Wahlpropaganda der „Republikaner“ auch immer wieder als harmlos dar, die „gar keine Hetzparolen“ enthielte, sogar davon abrücke. „Die CSU macht so was viel schärfer.“ Auch sei Dieckmann-Schrader ja „gar nicht bereit, sich konkret mit den rechten Gruppierungen zu befassen, sondern wirft alle in einen Topf und ist dagegen“. Matz verdächtigte die NDR-Assistentin, daß ihr Gewissenskonflikt als billiger „Protest mit Pensionsberechtigung“ nur vorgetäuscht sei.
Während das Hamburger Landesarbeitsgericht es vorzog, seine Klageabweisung vor leeren Bänken zu verkünden und sich so selbst die ansonsten übliche mündliche Kurzbegründung ersparte, entschied es doch auch gleichzeitig, wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles eine Revision gegen das Urteil beim Bundesarbeitsgericht zuzulassen. Dort müßte – ähnlich wie aus Grundsatzverfahren von Kriegsdienstverweigerern bekannt – auseinandergeklaubt werden, nach welchen Kriterien der Gewissensdruck der NDR-Assistentin und seine Intensität festzustellen sei. Ob die Gewerkschaft IG Medien, die ihrem Mitglied Dieckmann-Schrader bisher Rechtsschutz gab, bereit ist, auch dieses Verfahren zu übernehmen, stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest.
Das dürfe keine Minute strittig sein, meinte nach der Urteilsverkündung Schauspieler Rolf Becker, selbst vom NDR zeitweise mit Beschäftigungssperren belegt, weil er sich geweigert hatte, Texte zu sprechen, die er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren konnte. Becker, der jahrelang Sprecher der freien Mitarbeiter des NDR war, gegnüber der taz: „Alles, was Astrid Dieckmann-Schrader gemacht hat, konnten wir auch kollektiv vertreten. Aber Gewerkschaft und Betriebsgruppe haben das verschlafen. Jetzt sind größere Protestaktionen der NDR-Belegschaft erforderlich. Plog bräuchte nicht weg von seiner juristischen Position. Aber er könnte sagen: Wir verzichten auf die Sanktion, weil wir politisch mit der Kollegin einer Meinung sind.“ Ulla Küspert
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