: Die Geschwülste von der Werft
Auf der Kvaerner Warnow-Werft jagen Gewerkschafter Streikbrecher / Wenn Elli den Kran fährt, führt der Heimweg durch den Sumpf ■ Aus Warnemünde Michaela Schießl
Im gleichen Moment, als IG- Metall-Chef Franz Steinkühler am Haupttor zu den streikenden Werftarbeitern sprach, schlüpften die Streikbrecher durchs Seitentor. Ihr V- Mann, Wachdienstler Krull, war pünktlich. Rasch schloß er das Gitter auf, ließ sie ein, schloß ab, schnell, schnell, keiner hats gesehen. Wächter Krull ist ein braver Schließer seines Herrn. Wie die Pförtner fühlt er sich als verlängerter Arm der Geschäftsführung.
Die Arbeiter der Kvaerner- Warnow-Werft in Warnemünde bei Rostock sehen in Krull ein anderes Körperteil: „Der Krull ist ein Arsch.“ Eine Bezeichnung, die schmeichelhaft ist im Vergleich zu der, die Streikbrechern zuteil wird. An jedem Werfttor hängt der Text von Jack London.
„Nachdem Gott die Klapperschlange, die Kröte und den Vampir geschaffen hat, blieb ihm noch etwas abscheuliche Substanz übrig, und daraus machte er einen Streikbrecher. Ein Streikbrecher ist ein aufrecht gehender Zweibeiner mit einer Korkenzieherseele, einem Sumpfhirn und einer Rückgradkombination aus Kleister und Gallert. Wo andere das Herz haben, trägt er eine Geschwulst räudiger Prinzipien.“
Krull ahnt nichts von seiner Geschwulst. Um 7.00 Uhr morgens hastet er bereits zu seinem zweiten Verrat. Über das Gelände einer angrenzenden Fremdfirma läßt er eine Gruppe Lehrlinge ein samt ihrer Ausbilder. „Hau'n sie bloß ab hier“, faucht er, als wir ihn erwischen. Und droht: „Ich sage das nur einmal.“ Zack, haut er das Ringschloß ums Tor.
Gegen Krulls Entschlossenheit wirken die Lehrlinge eher verunsichert. Ihr Betriebsleiter Aus- Und Fortbildung, Volkmar Marske, hatte sie um Viertel vor sieben auf den Parkplatz des Minimal-Supermarkts bestellt. „Ein Streikbrechertreffen ist das“, schimpfen die IG-Metall-Jugendvertreter. Sie wiederholen, wie Marske die Auszubildenden unter Druck gesetzt hat. „Jedem steht es frei, mitzustreiken. Dann muß er eben mit Defiziten in der Ausbildung rechnen. Überlegt euch genau, ob ihr euer Ausbildungziel gefährden wollt.“ Doch nur die ganz jungen Lehrlinge konnte er damit beeindrucken. Kaum eine Handvoll Azubis drücken sich auf dem Parkplatz rum. „Wir wissen gar nichts, wir wollen uns erstmal informieren“, sagt eine. Der Flaumbart aus dem ersten Lehrjahr ist trotzig: „Ich bin nicht in der IG Metall, das lohnt sich nicht. Aber wenn wir kein Geld bekommen, streik' ich eben auch.“ Die einzigen, die arbeiten dürfen, sind Lehrlinge vor dem Abschluß. Prüflinge sind vom Betriebsrat explizit vom Streik freigestellt.
Marske läßt sich seine Enttäuschung über die wenigen Arbeitswilligen nicht anmerken. „Nein, wo denken Sie hin, mit Repressionen habe natürlich niemand zu rechnen.“ Und von Streikbruch will er auch nichts hören. Im Gegenteil: Marskes Angebot hat einzig großherzige Gründe: „Als Ausbilder bin ich verantwortlich, daß die Lehrlinge was lernen und später gute Zukunftschancen haben.“ Daß eine angemessene Bezahlung zur Zukunft gehört, unterschlägt Marske. Gewerkschaftlich organisiert ist er nicht. Und zum Streik möchte er sich überhaupt nicht äußern. „Auf geht's. Leute“, sagt er, und führt seine Herde zu Krulls Schlupfloch.
400 Meter weiter steigt Franz Steinkühler und DGB-Chef Hans- Werner Meyer gerade wieder von der Containerbühne herunter. Mut haben sie den rund 1.000 anwesenden Werftarbeitern zugesprochen, um Durchhaltevermögen gebeten, die Bedeutung klargemacht, die der Rechtsbruch der Arbeitgeber bedeutet. „Es geht nicht nur um die 26 Prozent Lohnerhöhung. Es geht um den Wert von Tarifverträgen, auch im Westen.“ Steinkühler zieht seinen schwarzen Trenchcoat an, rückt die Goldbrille zurecht. Ein paar Minuten haben die Spitzengewerkschaftler noch, den Dialog mit den Arbeitern zu suchen, bevor es weitergeht zum nächsten Betrieb. Doch offenbar fehlt es am Gesprächsstoff. Kein ,wie geht es euch bei diesem ersten Streik nach 60 Jahren, werdet ihr über die Runden kommen mit dem Streikgeld, wo gibt es Probleme‘? Statt dessen erzählt Meyer den Schweißern und Kranführerinnen, wie furchtbar es doch ist, daß er in seinem First- Class-Hotel morgens um sechs kein Frühstück bekommen hat.
Als die Promis weg sind, beginnt der Ernst des Streiks. Hektisch rennt Betriebsratschef Bernd Heydrich zwischen Streikbaracke und Streikbüro auf und ab, und schickt die Fragesteller zu denen, die Antworten haben: Zu Harald Berndt und Ingrid Grabowski.
„Du haust ab und wir haben den Ärger“
Frau Grabowski ist Vertrauensfrau, und tatsächlich verdient sie das Vertrauen der Arbeiter. Denn besser als sie kennt sich keiner aus in den Geheimnissen des Streikrechts. Als der IG-Metall-Streikhelfer-West aus Bremen, Michael Breidbach, einem nichtorganisierten Arbeiter lauwarm Hilfe zusagt, schreitet „Inge“ ein. Falsche Versprechungen sind hier fehl am Platz. „Die Regelung ist klar: Wer nicht oder weniger als drei Monaten in der Gewerkschaft ist, bekommt kein Streikgeld. „Du haust wieder ab, und wir stehen da mit dem Ärger“, fährt sie den Bremer an. „Wenn jetzt angefangen wird zu bescheißen, rückzudatieren, rumzumogeln, verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit.“ Inge grinst. „Ist schon ganz gut, daß der Wessi da ist, aber um streiken zu können, müssen wir nicht wissen, was in der Weimarer Republik alles los war.“
Tatsächlich hat der Entwicklungshelfer von den Klöckner- Werken nicht allzu viel Erfahrung. Zwar hat die IG Metall in Bremen Ende der 70er Jahre schon mal sieben Wochen gestreikt, sein Betrieb aber war nur sieben Tage dabei. So gibt Breidbach gutgelaunt andere nützliche Tips: „Du Harald, du mußt nicht immer schweigen, wenn jemand zur Tür reinkommt. Bei uns gibts keine Stasi.“
Draußen vor der Baracke stehen die Arbeiter und Arbeiterinnen nach ihrer Streikkarte Schlange. Jedes IG-Metall-Mitglied erhält seinen Streikausweis und wird zur Wache eingeteilt. Stickig wird es in den kleinen Räumen, und plötzlich gibt es Tumult, beim Buchstaben G bis K. Fünf Männer laufen zu Inge. „Seit 1958 bin ich in der Gewerkschaft, wo ist meine Streikkarte?“ Es stellt sich heraus, daß keiner der fünf mehr in der IG Metall registriert ist, offenbar haben sie die Umschreibefrist – von der FDGB der DDR zum DGB der BRD – versäumt. „Keine Chance“, sagt Inge. „Wir haben lange genug gepredigt, einzutreten. Nun ist es zu spät.“
Als den Männern klar wird, daß sie kein Streikgeld bekommen werden, verlieren sie die Fassung. „Wie ihr wollt, wenn das so ist, gehen wir ab morgen wieder arbeiten. Wovon sollen wir leben, wenn der Scheiß wochenlang dauert.“
Rund 80 Prozent der 2.700 Werftarbeiter der Warnow-Werft sind Gewerkschaftler, viele von ihnen allerdings erst seit April. Nur wer drei Monate dabei ist, bekommt Streikgeld: Ihren Monatsbeitrag mal zwölf pro Woche. Kaum mehr als eine Überlebenshilfe, angesichts der niedrigen Löhne. Der Schiffsbauer Claus Colloff, Lohngruppe acht, 2.300 Mark brutto, erhält 1.104 Mark pro Streikmonat. „Ein Lebenskünstler muß man sein“, sagt er. 600 Mark kostet eine Zwei-Raum Wohnung in Rostock-Lichtenhagen.
Viele Werftarbeiter haben Verständnis für jene Kollegen, die leer ausgehen. Und natürlich sehen sie die Gefahr, daß der Streik gefährdet werden kann, je länger die Durststrecke dauert. Noch steht die Belegschaft weitgehend geschlossen zum Streikbeschluß, wenn auch eher aus Verzweiflung denn aus Kampfeslust. Tenor: „Wir können uns nicht alles gefallen lassen. Wenn wir uns jetzt nicht wehren, machen sie mit uns, was sie wollen.“
Auch Peter W., 19, Schmelzschweißer, erstes Lehrjahr, findet den Streik voll gut. Aber der Text über Streikbrecher, daß geht ihm zu weit. „Ich bin nicht organisiert, weil ich es satt habe, das ganze Parteiengedöns und Gewerkschaftsgekungele. Aber länger als eine Woche kann ich nicht aushalten ohne Geld. Wenn die mich dann so behandeln, das ist doch gemein. Aber arbeiten tu ich dann, sollen sie mich doch in die Fresse hauen.“
Die IG-Metaller bekräftigen, daß sie auch wochenlang widerstehen. Und doch hofft jeder, daß sich die Tarifparteien zügig einigen werden. Manche Kollegen jedoch können es nicht erwarten. „Da oben, mein Kran bewegt sich“, schreit Waltraud Hacker und deutet auf die Werftanlage. Seit 1955 ist sie Kranführerin, und liebt ihren luftigen Arbeitsplatz. „Es ist wunderschön, der Blick und die Luft.“ Normalerweise hätte sie jetzt Schicht. „Da hockt ein Streikbrecher drinnen, bestimmt die Elli.“ Auch der graue Kran daneben arbeitet an dem Schiff, das nächste Woche Übergabetermin hat. Die Arbeiter sind empört. Keiner kommt aufs Firmengelände und an die Streikbrecher heran. Mit einem kleinen Lotsenboot fahren wir von hinten an die Werftanlage, Waltraud Hacker schaut durchs Fernglas. Klarer Fall, es ist Elli. Als Elli die Spione sichtet, hält sie sich eine Zeitung vors Gesicht.
„Da oben, mein Kran bewegt sich!“
„Die kriegen wir, wenn sie rauskommen“, sagt Harald Berndt. An jedes Tor postiert er Streikposten. Um 15.30 sieht man Elli und Co. nervös im Hof herumlaufen, Haken schlagend wie die Hasen, auf der Suche nach einem Schlupfloch. Schließlich flüchten sie über den Sumpf. „Egal“, sagt Berndt. Denn morgen werden die Verräter umsonst nach einem Zugang suchen. „Wenn es gar nicht anders geht, sperren wir auch die Arbeiter der Fremdfirmen aus, die sich auf dem Gelände befinden.“ Dann nämlich, wenn die angehalten werden, die Aufgaben der Werftarbeiter zu übernehmen. „Macht das ruhig“, sagt ein Fremdarbeiter. „Wir unterstützen euch.“ Mit Geschwülsten hat auch er nichts am Hut.
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