: Lejia ist eine spanische Leidenschaft
Fußböden müssen nach Chlor riechen, sonst sind sie schmutzig. Für wilde Müllkippen fühlt sich jedoch niemand zuständig. ■ Aus Madrid Antje Bauer
Nachdem Manolita, mit dem Großputz meiner Wohnung beauftragt, das kümmerliche Arsenal an Reinigungsmitteln inspiziert hatte, machte sie mir energisch eins klar: Als 1.-Hilfe-Maßnahme für meinen vernachlässigten Haushalt müsse umgehend mindestens eine Flasche Lejia, Chlorlauge, her. Lejia, so versicherte Manolita mit der Überzeugungskraft von 10 Millionen spanischen Hausfrauen im Hintergrund, sei nicht nur im Wischwasser absolut unentbehrlich, es diene auch zur Bleichung vergilbter Wäschestücke, und im Sommer verhinderten einige Tropfen des kostbaren Chlors im Salatspülwasser die Übertragung von Keimen. Ohne Lejia sei ein Haushalt gar kein Haushalt. Mein Vorschlag, statt dessen ein normales Reinigungsmittel zu nehmen, scheiterte an Manolitas energischem Widerstand. Seufzend machte ich mich auf den Weg zum Drogisten um die Ecke. Im Portal gegenüber wischte eine alte Frau in Pantoffeln und Bademantel gerade den Bürgersteig, der charakteristische Chlorgeruch machte deutlich, daß ihr Haushalt seinen Namen verdiente. Aus dem Fenster des Restaurants „Giralda“, aus dem des abends Geruchsschwaden von fritiertem Fisch entweichen, ragte eine Hand, die mit einem lejiagetränktem Schwamm die Außengitter abrieb, selbst aus dem Pornolädchen drang der penetrante Geruch.
Lejia ist im wörtlichen Sinne der hervorstechendste Teil des spanischen Reinigungsrituals. Das zwanghafte Bedürfnis, jeglichen Anschein von Schmutz zu vermeiden und zu verhindern, beschränkt sich freilich nicht auf die häuslichen Fußböden. Jedes Staubpartikelchen auf dem Mobiliar wird unnachgiebig beseitigt, die Toilettenspülung vieler moderner Haushalte erweist sich als blaugefärbt und schäumend, weil eine besorgte Hausfrau ein Säuberungsmittel in den Kasten gekippt hat.
Die Abwehr gegen das Allzumenschliche steigt vor allem bei den Jugendlichen: Die wenigen Punks und Hippies, die es unter ihnen gibt, sehen wie verkleidet aus: Anstelle der Schmuddelpatina von Punks in unseren Breitengraden sind hier Lederklamotten und zerrissene Jeans Beweise der Wasch- und Bügelkünste der Mama, und ihre Träger riechen nach einem Gemisch aus Waschpulver, Shampoo und Duschgel, wovon sie reichlich Gebrauch machen. Selbst die alten Männer, die auf den Dörfern in ihren aufgetragenen Hemden und zerknitterten Hosen das öffentliche Bild prägen, konnten den Triumphzug der Duschgels nicht aufhalten. Längst hat das gemeinschaftliche Waschhaus der privaten Waschmaschine Platz gemacht, und die Diskos riechen des nachts nach Seife und Cuba libre.
Jenseits der Privatsphäre hört die Sauberkeit freilich abrupt auf. Der Fußboden vor den Tresen beliebter Kneipen füllt sich im Laufe des Tages mit Papierservietten, benutzten Zahnstochern und Kippen. An Samstag- und Sonntagmorgenden sind die Straßen der Kneipengegenden übersät mit leeren Flaschen und Dosen, Frittentüten und ausgespuckten Sonnenblumenspelzen.
Die Angewohnheit, Überflüssiges im öffentlichen Raum zu hinterlassen, erstreckt sich auch auf Schrottautos, alte Waschmaschinen oder ausgediente Möbel, die ohne Federlesen in Wiesen, an Ufern von Bächen oder an einem Straßenrand deponiert werden. Für den öffentlichen Raum ist niemand zuständig, er muß deshalb nicht saubergehalten werden. Und der private Raum wird durch Entrümpelung schließlich hygienischer. Erstaunlich eigentlich, daß noch niemand auf die Idee gekommen ist, diese improvisierten Wohnzimmer in der Natur mit Lejia zu bearbeiten, damit sie nicht so vor sich hin gammeln. Mein Drogist um die Ecke hat Vorrat genug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen