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Da ist Hopfen und Malz verloren

■ betr.: "Die Angeklagte sieht sich als Opfer", taz vom 13.4.93

betr.: „Die Angeklagte sieht sich als Opfer“, taz vom 13.4.93

Was habe ich mir Mühe gegeben, Euch in beinah zwei Stunden Gespräch klarzumachen, daß Eure moralinsaure Herangehensweise gerade in der „Berichterstattung“ über mich „dem Fall“ wenig gerecht wird.

[...] Ich hatte versucht, Euch lang und ausführlich mitzuteilen, daß das diesem Prozeß zugrunde liegende Problem die übersteigerte Abhängigkeit meines Bruders zu seiner Mutter ist, die ihn bis kurz vor ihrem Tod quasi noch versorgt hatte. Nach ihrem Tod übertrug er meines Erachtens diese Haßliebe auf mich, was er auch mir gegenüber wiederholt erklärt hatte. Für mich ist aber nichts schlimmer als seine Liebe zu mir, weil er in der Tat zwischen Liebe und Haß keine Unterscheidung macht. La mère fällt in die Position der la put, und so ließ er die Zeugin erklären, daß ich einst neben der Fabrikarbeit abends noch auf den Strich gegangen sei. Solche Äußerungen sind keine Zufälle – und in den Akten findet sich da allerlei –, sondern sie zeigen, daß es hier um mehr oder etwas anderes geht, als die Anklage ausdrückt.

Es geht um Mord, das ist wahr. Es geht um das Wort der Abtreibung, aus meinem ersatzmütterlichen Mund, daß mein Bruder in der Tat nur als Tötung seiner Person, noch dazu auf der Zeitachse, verstehen konnte. Nur hat dies wenig mit der Essenz des StGB zu tun. Im Sinne des StGB hatte ich versucht, über die Zeugin, der Freundin meines Bruders, die von ihm gestohlenen Gegenstände zurückzustehlen. Auch dies ist zugegeben strafwürdig, stellt aber ein anderes Delikt dar – und hat dazu nicht geklappt. Was an diesem Fall nun verwirrend sein soll, weiß ich nicht. Aber – mit Verlaub – Eure intellektuelle Aufnahmefähigkeit ist wenig umwerfend. Eure Fähigkeiten liegen wohl in anderen Sphären. Da Ihr mich netterweise für bekloppt erklärt, sind wir somit quitt.

Für mich war's die Verbindung Rassismus/Sexismus, noch dazu in einer Person, die mich an meinem Bruder faszinierte. Klarer geht's nimmer. Nicol, selbst Linker und ehemaliger Kadergenosse der Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) und der Kommunistischen Jugendorganisation Spartacus, wurde von seiner Mutter aufgrund seiner rassistischen Äußerungen quasi enterbt. Meine Mutter war keine Widerstandskämpferin, aber eine Person, die das Nazireich reichlich satt hatte und arg darunter gelitten hat, „damals“ nichts tun zu können. Fremde Kulturen und Lebensgewohnheiten fand sie halt interessant. Bei Demos gegen Rassismus machte sie unabhängig von mir mit.

Ich hab' lang nachdenken müssen, um ihre Position gegenüber ihrem Sohn nachvollziehen zu können. Es ist die Reich-Theweleit-Linie, mithin der Versuch einer psychoanalytischen Betrachtungsweise des faschistoiden Charakters, der da trifft. Pilgrim in seinem relativ neuen Buch „Muttersöhne“ beschreibt das Problemfeld historisch erweiternd und für meinen Bruder äußerst treffend. Das ist aber kein nachgeschobenes Mordmotiv meinerseits, sondern der Versuch einer inhaltlichen Einordnung. Mit Nazis kämpfen kann ich anders, und da finde ich andere und Interessantere als meinen Bruder.

Diese ewige Suche nach Gegnern als Lebenszweck, resultierend aus dem eigenen Selbsthaß, trifft allerdings so unglaublich offensichtlich bei Nicol: Die Spaltung der Grünen in Essen, die er vor Jahren versuchte, der Kampf gegen seine ehemaligen Vorgesetzten bei den beiden ABM-Arbeitsstellen, den einzigen Jobs, die er überhaupt hatte, und nun seine blindwütigen Aktionen gegen zwei Frauen, denn sowohl seine Freundin als auch ich bleiben auf der Strecke. Es gibt keinen Gewinner in diesem Spiel, auch er ist es nicht, will es nicht sein. [...]

Selbst in den Details seid Ihr ungenau. Ich hatte Euch erklärt, daß ich, seit ich aus dem Haus meiner Eltern mit 16 glücklicherweise rausgeflogen bin, nicht mehr dort gewohnt habe. Der „Terror“ meines Bruders in bezug auf Privatdetektive vor dem Haus, Umleiten der Post etc. traf somit gar nicht mich, sondern Freunde von mir, die dort leben. Mithin auch kein mögliches Mordmotiv – ehrlich gesagt, ich finde keins, so doll ich auch suchen mag.

Auch in der Frage des berühmten Gutachters, den Ihr nun ins Feld führt, seid Ihr ungenau. Nicht der Richter wollte den so unbedingt, sondern icke, und nicht deshalb, weil ich auf schuldunfähig mache, sondern um die familiären Hintergründe, mithin die Macken meines Bruders, ins Feld zu führen. Schuldunfähig bin ich nämlich ganz und gar nicht; dies ist eines der Unterscheidungsmerkmale zu meinem Bruder. Wie andere Geschwister auch, haben wir uns reziprok zueinander angeordnet. Er, der vier Jahre ältere, das Mädchen, das sensibel war und wunderschön malen konnte, ich der draufdreschende schuldfähige Haudegen, eher Mann als Weib.

Nicht Schuldunfähigkeit, sondern Schuld im realen Sinne ist im Prozeß selbst die Frage. Für Schuld ist aber Handlung erforderlich, die dann schuldhaft sein könnte. Mein Bruder und dessen Leben ist nie bedroht worden. Er hat schlicht 'ne Story eigener Bedrohung gedeutscht, wobei nicht ich, sondern mein Lebenspartner ihn nun töten sollte, denn Nicol sei reich (was nicht stimmt) und mein Mann dagegen arm und hungrig. Er hat somit das tradierte Bild des Hexensabbats (Vereinigung der Frau mit Teufel/Juden), neudeutsch der Kanackenvotze bemüht. Das ist so toll, so überzeugend für mich. Ich war richtig glücklich, Nicols Positionen so bilderbuchhaft in den Akten lesen zu dürfen.

[...] Und der bittertraurigen Gestalt meines Bruders nun was tun könnt' ich nach neun Monaten Haft irgendwie immer noch nicht. Wahrscheinlich könnt' ich ihn noch nicht mal ohrfeigen. Das mir unterstellte Gefühl des Hasses greift so völlig ins Leere. Es ist schlicht Unterstellung, eben die aus dem Christentum stammende Vorstellung des Weiblichen. Ilona Hepp

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