■ Mikis Theodorakis über die neue makedonische Frage: „Notfalls verlassen wir Europa“
Im griechischen Bürgerkrieg (1944–1949) kämpfte Mikis Theodorakis auf seiten der Kommunisten und wurde auf einer Strafinsel inhaftiert, und als Abgeordneter der kommunistischen EDA wurde der Komponist und Sänger nach dem Militärputsch von 1967 wieder festgenommen und auf eine Gefängnisinsel verbannt, bis er auf internationalen Druck hin 1970 freikam. Seine griechischen Kampflieder, aber auch seine Interpretation von Pablo Nerudas „Canto General“ und die Filmmusik zu „Z“ machten ihn zum Vorbild einer ganzen Generation von MusikerInnen und zu einem der wichtigsten Markenzeichen seines Landes. Dem Kommunismus hat Theodorakis längst abgeschworen. 1990 trat er als Minister ohne Geschäftsbereich in die konservative Regierung ein. Seit seinem Rücktritt im vergangenen Jahr ist er Chef des Chors und Orchesters des griechischen Staatsfernsehens. An der griechischen Kampagne gegen eine internationale Anerkennung des Nachbarstaates Makedonien beteiligt sich Patriot Theodorakis in vorderster Front.
taz: Seit Monaten hält das Wort „Makedonien“ die Öffentlichkeit Ihres Landes in Atem. Hat Griechenland wirklich kein größeres Problem?
Mikis Theodorakis: Man muß das als eine Frage von Eigenliebe verstehen. Auf den ersten Blick sieht man zwar ein großes Land, wie Griechenland, gegenüber einem kleinen Land, wie Skopje...
... worunter sie die exjugoslawische Republik Makedonien mit der Hauptstadt Skopje verstehen...
Aber trotzdem geht es auch um Verteidigung. Der eigentliche Zeitpunkt für Protest wäre 1944 gewesen, als Tito beschloß, Skopje in „Makedonien“ umzubenennen, nach einer Landschaft, die zu 50 Prozent von Griechenland besiedelt ist. Damals wurde jedoch nichts getan, weil Tito das Hätschelkind des Westens war und Griechenland mitten im Bürgerkrieg steckte und die Amerikaner brauchte. Auch alle späteren proamerikanischen griechischen Regierungen haben gegen den Titel „Makedonien“ nicht protestiert. Allerdings ging es da ja auch nicht um einen unabhängigen Staat, sondern einen Teil Jugoslawiens.
Einen Teil der Verantwortung tragen daran die Kommunisten, die im Bürgerkrieg gemeinsam mit Slawo-Makedoniern kämpften, die ihrerseits ein Groß-Makedonien wollten.
Nein, nein, nein. Das stimmt nicht. Ich war sehr mit Tito befreundet. Die Sommer verbrachte ich mit ihm auf seinem Gut. Aber das wußte man nicht. Diesen Tito- Stalin-Plan, diese Kombination, um uns Makedonien zu nehmen, kannte allenfalls eine Handvoll griechischer Kommunisten. Ich erfuhr erst viel später davon, als ich die Musik für einen jugoslawischen Film machen sollte und feststellte, daß da von einer „makedonischen Nationalität“ die Rede war. Da habe ich ihm gesagt: „Genosse Tito, eine makedonische Nationalität existiert nicht.“ Deswegen sind Tito und ich auseinandergegangen. Wir waren kommunistische Patrioten. Wir kämpften für unser Land, und wenn da einer Slawisch redete oder Türkisch oder Jiddisch – gut, das war in Ordnung. Für mich waren das Griechen.
Inzwischen ist Stalin tot, Tito tot, und ihre beiden Staaten existieren auch nicht mehr.
Aber mit der Liquidierung Jugoslawiens blieb es bei dem Namen „Makedonien“. Nicht nur das: Die Bewohner dieses kleinen Staates machen Institute in Australien, Kanada und Australien auf, um zu beweisen, daß es eine makedonische Nationalität gibt. Das ist eine Verfälschung der Geschichte. Denn die Einwohner des Landes sind zu 40 Prozent Albaner [nach offiziellen Angaben 20 Prozent, die Wahrheit dürfte dazwischen liegen, A.d.R.], der Rest sind bulgarische Slawen. In jedem Fall sind sie erst im achten Jahrhundert nach Christus in jenes Land gekommen. Sie wollen behaupten, daß sie die natürlichen Erben von Alexander dem Großen sind, der Rest der Makedonen sich aber unter der Besatzung von Bulgaren oder Griechen befindet, die man befreien muß. Sie drucken Karten, wo das große Makedonien den ganzen Norden Griechenlands einschließt, sie erheben Gebietsansprüche auf den Norden Griechenlands – auf Thessaloniki!
All diese Forderungen kommen von einer Oppositionspartei im Parlament von Makedonien. Das können Sie doch nicht der Regierung in Skopje vorwerfen.
Das ist eine doppelte Botschaft. Einerseits sagen sie: Wir sind friedlich, das sind kleine Gruppen. Aber dann drücken diese kleinen Gruppen ihren Willen der ganzen Politik auf.
Der Staat Makedonien hat nicht einmal eine ernstzunehmende Armee, er besitzt gerade mal zwei Panzer.
Das ist keine Frage einer Armee. Einerseits gibt es den Status quo mit einem Kräftegleichgewicht. Aber es gibt noch einen weiteren Faktor, das ist der Panslawismus. Skopje drückt zur Zeit die imperialistische Ideologie des Panslawismus aus. Tito und Stalin haben den Kommunismus für den Panslawismus genutzt. Die Periode des Kommunismus war ein Intervall, die dahinterstehende größere historische Kraft aber bleibt, der Panslawismus. Wir sehen das an dem islamischen Fanatismus, der auch ohne Armee eine große Bedrohung darstellt, für den Westen, für Algerien, für die arabischen Länder. Ich glaube, die drei wichtigsten Ideologien, die derzeit das Kräftegleichgewicht gefährden, sind der Panslawismus, der Panislamismus und der Panturkismus.
Das sagen Sie, der Sie in den 70er Jahren als Pazifist für den griechisch-türkischen Dialog eingetreten sind.
Der Panturkismus ist ja auch gegen die Türkei gerichtet. Genau wie die „Griechen der großen Idee“ – Nationalisten, die Konstantinopel und den Süden Albaniens wollten – gegen Griechenland waren. Auch für die Nachbarländer war das, solange die eine große Kraft waren, gefährlich. Und der Panslawismus verstößt gegen die Interessen der slawischen Länder. Wie alle diese fundamentalistischen Ideologien.
Mit Ihrer antimakedonischen Bewegung haben Sie antigriechische Gefühle in den Nachbarländern geradezu herausgekitzelt. Da erzeugt ein balkanischer Nationalismus den nächsten.
Das glaube ich nicht. Die neuen Regimes sehen doch, daß die früheren kommunistischen Regimes gute Beziehungen zu uns hatten. Wir fordern ja auch nicht den Süden Albaniens, weil dort eine griechische Minderheit lebt. Über Minderheiten – und davon gibt es ja viele überall, Ungarn, Rumänen– denken wir, die Minderheiten bleiben auf dem Terrain, haben aber alle Rechte und Privilegien, die von der UNO garantiert sind.
Gilt das auch für die slawo-makedonische Minderheit in Griechenland?
Hören Sie zu, die Leute, die Slawisch sprechen, ich weiß nicht, wie viele das heute noch sind, die haben alle Rechte, die werden völlig normal behandelt. Vor dem Bürgerkrieg gab es eine Minderheit von ungefähr 60.000 [die Zahl ist sehr umstritten, A.d.R.]. Danach sind die meisten gegangen, viele nach Skopje. Und die autoritären Regimes in Griechenland waren nicht nur gegen die Slawo-Makedonier, sondern auch gegen die Griechen gerichtet. Ich selbst war im Exil, zusammen mit den Slawo- Makedoniern. Im Bürgerkrieg habe wir in derselben Armee gekämpft. Aber nach 1975 gab es in Griechenland eine Demokratie. Warum kommt man denn dann in Griechenland ins Gefängnis, wenn man – wie jüngst ein junger Mann– auf einem Flugblatt sagt, daß Makedonien ein Recht auf seinen Namen hat und Alexander der Große ein Kriegsverbrecher war?
Das kommt man nicht. Der junge Mann hat sicher etwas getan, was gegen das Gesetz war. Das war nicht wegen Alexander des Großen. Vielleicht hat er was auf die Mauer geschrieben.
Die Nachteile der griechischen Blockadepolitik gegen das kleine Nachbarland nehmen Sie nebenbei in Kauf.
Es gab keine Nachteile. Im Gegenteil: Das hat uns sehr gut getan. Nachteile kommen nicht wegen Makedonien, sondern von dem Krieg aus Jugoslawien. Wir wollen keinen Krieg. Wir wollen Frieden und Brüderlichkeit aller Völker. Und wir wollen Wohlstand für Skopje. Und wir wollen gute Verhältnisse. Wir lieben die Menschen von Skopje. Wir sind nur gegen einen kleinen Zirkel von Fanatikern.
Nun hat die UNO Makedonien vorläufig unter dem Namen „Ehemalige jugoslawische Republik Makedonien“ anerkannt und die endgültige Regelung des Streites um den Namen der Jugoslawien- Konferenz anheimgestellt ...
Ich schlage der griechischen Regierung und der griechischen Öffentlichkeit vor, daß wir uns aus Europa zurückziehen, wenn es europäische Länder gibt, die Makedonien unter diesem Namen anerkennen.
Sie wollen sich aus Ihrer Geographie zurückziehen, das soll wohl ein Witz sein.
Nein, das ist kein Witz. Wir haben alles hier. Unsere Sonne, die Musik, den Tanz, die Liebe, wir haben alles von Gott. Diese Rolle kennen wir. Wir waren in der Geschichte schon oft allein. Das ist eine Frage der Ehre. Das verstehen Sie nicht. Wir sind hier nicht in Paris, wir haben keine Mercedes, wir haben keine Volkswagen. Wir haben nur unsere Geschichte. Wir haben Alexander den Großen, und wir haben Makedonien.
Interview: Dorothea Hahn, Athen
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