: Der Deutsche Michel soll daheim studieren
■ Behörden verweigern Studenten Bafög für volles Studium im EG-Ausland / Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof ist anhängig
Berlin (taz) - Derzeit tourt ein „Info-Mobil“ im Auftrag der EG- Kommission von einer Universität zur anderen. Die publikumswirksamen Tips über „Studienmöglichkeiten in Europa“ nutzen Udo Bernisch* nichts. Der 24jährige Deutsche hat zwar einen Studienplatz in Amsterdam. Ein armer Student im Sinne des Berufs-Ausbildungsförderungsgesetzes (Bafög) ist er auch. Aber weder von seinem niederländischen Gastgeber noch von den Deutschen bekommt Udo eine Finanzspritze fürs Studium.
„Ich finde es eine absolute Schikane“, erregt er sich. Erst nach langem Bewerben konnte er einen Platz an der „Nederlandse Film en Televisie Akademie“ ergattern. Er absolviert dort ein Studium zum Kameramann, das vier Jahre dauert. Und genau das ist Udos Pech: Er will sein Studium komplett im Ausland absolvieren. Auch in den Zeiten des EG-Binnenmarktes gilt: Der deutsche Michel bekommt Geld nur fürs Studium in der Heimat! Die Förderrichtlinien des Bafög erlauben Zuschüsse nur für einen maximal einjährigen Studienaufenthalt. „Wir würden mit einer anderen Regelung auch besser leben“, meint Klaus Bachmann vom Bafög-Amt Hannover.
900 Studierende stellen alljärlich in Hannover, dessen Bafög- Amt für die Studienförderung Deutscher in den Beneluxstaaten zuständig ist, Anträge für Einjahresstipendien. Die bewilligt Klaus Bachmann in den meisten Fällen. Beinahe „grundsätzlich zur Ablehnung“ (Bachmann) führt aber der Antrag, ein vollständiges Studium im Ausland zu fördern. Die Begründung, die Bachmann nicht nur Udo Bernisch geben muß, klingt paradox: Weil Sie studieren wollen, gibt's kein Geld! Paragraph 6 Bafög läßt die Förderung eines kompletten Studium nämlich nur zu, wenn man seinen Hauptwohnsitz bereits im Ausland hatte. Und zwar aus anderen als Studiengründen.
Daß das nicht gerade europafreundlich ist, weiß auch die Bundesregierung. Es sei wünschenswert, ganze Studienaufenthalte im Ausland zu fördern, heißt es in einem „Bericht über die Auswirkungen des europäischen Binnenmarktes auf das Bafög“. Vorher müßten aber die „Leistungsniveaus der nationalen Fördersysteme“ angeglichen werden. Berthold Richter vom Bundesbildungsministerium meint, das Bafög könne dafür nicht Vorreiter sein. Es würde eine Sogwirkung auf Studienwillige anderer Länder entstehen, weil das Bafög eine Spitzenposition in Europa einnähme.
Udo Bernisch hat von dieser Spitzenposition nichts. Er hält sich sich über Wasser, indem er zweimal die Woche im Amsterdamer Kino „Alhambra“ Karten abreißt. Nur so kann er sich sein Sudium finanzieren. Auch von der niederländischen Studienförderung profitiert er nicht, obwohl sie - neben der dänischen - die progressivste in Europa ist. Jeder Student erhält dort ein Grundstipendium von rund 600 Gulden. Hinzu kommt die „OV Jarkart“, ein Freifahrtsschein für alle öffentlichen Verkehrsmittel. Udo Bernisch kriegt das alles nicht - weil er kein Niederländer ist. Und das deutsche Studentenwerk knausert, weil er in Holland studiert.
„Politisch ist das ein Unding“, meint Dieter Schäferbarthold, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. „Das Studium im EG-Ausland muß wie eines im Inland gefördert werden.“ Aber so schnell wird das nicht kommen. Die derzeitigen europäischen Ratsvorsitzenden aus Dänemark haben der EG zwar ihr eigenes System als Modell vorgeschlagen: Jeder Student nimmt die Stipendienförderung mit ins Ausland; das heißt er kriegt auswärts so lange und so viel Unterstützung wie zuhause. Aber andere Europäer haben sich dem verweigert. Auch die Deutschen. Sie haben Angst davor, daß Ausländer „im Anschluß an eine kurzfristige Erwerbstätigkeit“ in Deutschland aus dem hiesigen Bafög-Topf Förderung beantragen. Und das womöglich für ein Studium im ursprünglichen Heimatland.
Udo Bernisch kämpft derweil vor dem Verwaltungsgericht (VG) Hannover um sein Bafög. Das Geld wird er vielleicht schneller bekommen, als er ahnt. Ein anderer zorniger junger Mann klagt nämlich in gleicher Angelegenheit vor der 3. Kammer des VG Hannover. Die hat inzwischen den Europäischen Gerichtshof angerufen. Der entscheidet nun, ob Studierenden auch ein komplettes Auslandstudium nach Bafög zu zahlen ist. Christian Füller
*Name von der Redaktion geändert
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