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Die SPD im Schneckengang

Die Kür der Kanididaten für die Spitzenämter der Partei entwickelt sich zu unübversichtlichem Gremiengerangel / Die AnwärterInnen suchen taktische Vorteile  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

Es war fast Mitternacht, als am Sonntag die erste Runde der unvermeidlichen Gremiensitzungen zu Ende ging. Nach dem Präsidium hatten sich die Bezirks- und Landesvorsitzenden im Erich-Ollenhauer-Haus getroffen. Gestern kam am späten Nachmittag der Parteivorstand zusammen, um über die Frage zu beraten, wie die SPD nach Engholm ihr Personal für die Spitzenpositionen finden soll. Doch während der Kreis der KandidatInnen für die beiden vakanten Posten mal größer, mal kleiner wird und zu täglich neuen Spekulationen einlädt, erliegen die Spitzengremien der Partei vorerst der Mühsal von Verfahrensfragen. Großer Ratschlag über das Procedere, denn diesmal ist das Führungsdebakel der deutschen Sozialdemokratie so groß, daß der Interimsvorsitzende Rau, daß Präsidium und Parteivorstand nicht mehr glauben, allein damit fertig werden zu können.

Der Rat der Basis ist gefragt — die Mitgliedschaft der SPD soll mitentscheiden. Unbenommen (und weithin unbekannt) bleibt, wie derweil in ewtas weniger formellen Zirkeln über Personen gesprochen wird.

Wer soll wann wen wie wählen? So richtig klar ist eigentlich nur, daß gewählt werden muß. Schon bei der Frage, für oder gegen wen die befragten Mitglieder oder Parteitagsdelegierten denn zu entscheiden hätten, herrscht noch Verwirrung. Gerhard Schröder aus Niedersachsen will Parteivorsitzender werden und als Kanzlerkandidat für Rot-Grün werben, Rudolf Scharping aus Rheinland- Pfalz, auf jeden Fall schon SPD- Aufsteiger des Jahres, hat sich am Sonntag nun auch eindeutig und gar nicht mehr überraschend erklärt. Im Unterschied zu Schröder geht Scharping mit dem Griff nach beiden Ämtern taktisch beweglicher um: Er möchte zwar beides, könnte sich aber auch arrangieren. Wohl kaum mit Heidi Wieczorek- Zeul, die als Parteivorsitzende, nicht aber als Kanzlerkandidatin antritt. Vielleicht aber mit Oskar Lafontaine, dem eine heftige Abneigung gegen Schröder nachgesagt wird, der sich zwar formell (noch) nicht beworben hat, aber stets irgendwie im Gespräch ist. Immer noch nicht hundertprozentig sicher, aber sehr wahrscheinlich will sich Renate Schmidt, Spitzenkandidatin in Bayern, um die Kanzlerkandidatur bewerben. Johannes Rau hat nun abgewinkt, wenn auch auf seine unnachahmliche Art, die einen letzten Schlupfwinkel läßt.

Weit unübersichtlicher als die Kandidatenschau ist nach der ersten Gremienrunde der Überblick über die Wege der Kandidatenkür. Das Wort von „Urwahl“ entwickelte zwar, einmal ausgesprochen, eine offenbar unwiderstehliche Faszination. Vergleichsweise zügig ließ sich klären, daß Satzung und Parteiengesetz dem Parteitag das entscheidende Wort über den Parteivorsitz geben. Am Sonntag wurde die Mitgliederbefragung zwar zum großen Wort, wie die aber praktisch durchgeführt werden soll, blieb mehr als undeutlich. Für die Parteilinke, die einen Sonderparteitag vor der Sommenrpause fordert, ist die Mitgliederbefragung der Offenbarungseid der gewählten Führunggremien.

Daß die Befragung erhebliche Probleme aufwirft, erschließt sich spätestens bei der Frage, wer auf den Stimmzettelns stehen wird. Trifft der Parteivorstand Vorentscheidungen? Stellt sich wirklich noch jede (r) den Mitgliedern, wenn in informellen Zirkeln oder den gewählten Organen Präferenzen deutlich werden? Wie können die Parteimitglieder über den Streit mitentscheiden, ob die Ämter bei einer oder zwei Personen liegen sollen?

Viel Arbeit für den Moderator Johannes Rau, der seine Ideen zur Lösung des Problems nicht nur dem Parteivorstand, sondern in der nächsten Woche auch noch dem Parteirat vorlegen muß. Auch der Parteivorstand wird dann noch einmal zusammenkommen. Falls er Entscheidungen zum Verfahren oder zu Personen trifft, könnten die einem Sonderparteitag noch vor der Sommerpause oder dem regulären, für November geplanten Parteitag vorgelegt werden.

Bei diesen Schwierigkeitsgraden dürfte für Präsiden und Parteivorständler immerhin tröstlich sein, daß die neueste Forsa- Umfrage keine negativen Folgen des Engholm-Rücktritts für die SPD ermitteln konnten. Kaum zu gleuben: 38 Prozent würden sich dennoch für die SPD entscheiden.

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